Der Gast: Roman
schmutzig, mit Blut und Dreck verschmiert, und noch schöner, als er vermutet hatte. Er hatte noch nie solche Augen gesehen. Sie waren aufregend. Von einem einzigartigen, strahlenden Blaugrün.
Ihr Haar erinnerte an einen Kobold. Kurz geschnitten, goldblond und völlig wirr.
Das Hemd war nur bis zur Mitte zugeknöpft. Es entblößte ihren Hals, die geschwungenen Schlüsselbeine und einen schmalen gebräunten Streifen in der Mitte ihrer Brust. Die Haut dort glänzte vor Schweiß. Ein paar Zentimeter unter ihrem Kehlkopf befand sich ein Blutfleck.
An mehreren Stellen war Blut durch das Hemd gesickert. Einiges davon, fiel Neal auf, könnte sein eigenes sein. Die Risse und der Schmutz und wahrscheinlich auch Teile des Blutes stammten wohl von seinem heftigen Sturz.
Doch das meiste musste von Elise sein.
Ihre Beine sahen aus, als hätte jemand sie vom Oberschenkel bis zum Knie mit nassen roten Händen massiert.
»Ich muss dir etwas zum Anziehen holen«, sagte sie. »Dein Hemd ist ruiniert.«
»Schon in Ordnung. Ich …«
»Was ist dir eigentlich zugestoßen?«, fragte sie.
»Wieso?«
»Du bist auch ein ziemliches Wrack.«
Neal sah an sich herab. Er war ein wenig überrascht, dass er bis zur Hüfte nackt war. Auf seiner Brust und seinem Bauch waren ein paar Kratzer. Und einige rote Stellen, die sich bald zu Blutergüssen entwickeln würden. Nichts Ernstes. Seine Shorts waren vorn schmutzig, aber nicht aufgerissen. An beiden Knien war die Haut abgeschürft. An den Ellbogen hatte es ihn vermutlich genauso schlimm erwischt, doch er machte sich nicht die Mühe, sie anzusehen.
»Ich hatte einen kleinen Sturz«, erklärte er.
»Hab ich gar nicht mitbekommen.«
»Auf dem Weg zu dir.«
»Tut mir leid.«
»Hey, das ist nichts. Wirklich. Du bist diejenige, der übel mitgespielt wurde.«
Sie zuckte die Achseln. »Du solltest wirklich duschen«, sagte sie. »Warte einen Moment hier.«
Elise eilte an ihm vorbei, verschwand kurz im Schlafzimmer und kehrte dann mit einem weißen Frotteebademantel zurück. Sie streckte ihn ihm entgegen. »Den kannst du anziehen, wenn du fertig bist. Ich werfe deine Klamotten in die Waschmaschine.«
»Das ist wirklich nicht nötig.«
»Du wirst dich viel besser fühlen, wenn du erst schön sauber bist.«
»Ich möchte nicht …«
»Bitte.«
Er seufzte. »Also … einverstanden.« Er nahm den Bademantel.
»Gut. Wenn du fertig bist, fühl dich einfach wie zu Hause. Im Gesellschaftszimmer ist eine Bar.« Sie nickte zum anderen Ende des Flurs. »Mach dir einen Drink, falls ich noch nicht wieder da bin.«
»Soll ich mich erst umsehen? Um sicherzugehen, dass niemand … sich irgendwo versteckt hat?«
»Spar dir die Mühe. Es sei denn, du willst unbedingt. Ich glaub nicht, dass man sich Sorgen machen muss. Zwei Angreifer in einer Nacht? Wie stehen da die Chancen?«
»Nicht besonders hoch«, gab Neal zu. »Außer der Typ hatte einen Komplizen.«
»Kann ich mir nicht vorstellen.«
»Solche Leute arbeiten normalerweise allein. Nicht immer, aber meistens.«
»Ich mache mir keine Sorgen. Aber wenn du dir welche machst, dann sieh dich ruhig um. Mein Haus ist dein Haus. Ich muss mich jedenfalls waschen.« Sie wandte sich ab und ging zum Schlafzimmer. Ohne sich umzublicken, hob sie eine Hand und sagte: »Bis gleich.« Dann war sie verschwunden.
Neal stand mit dem Bademantel in der Hand im Flur und lauschte. Als er hörte, wie das Wasser zu laufen begann, ging er davon aus, dass Elise in Sicherheit war; zumindest war niemand im Badezimmer über sie hergefallen.
Er trat ins Gästebad, schloss die Tür und hängte den Bademantel an einen Hacken.
Die Tür ließ sich verriegeln.
Er betätigte den Knopf.
Nur für alle Fälle, dachte er.
Er betrachtete sich in dem riesigen Spiegel über dem Waschbecken und schüttelte den Kopf.
Du bist verrückt, wenn du glaubst, sie würde versuchen, reinzukommen.
Wirklich?, fragte er sich. Ich sehe nicht so übel aus, wir sind ungefähr im selben Alter, sie mag mich offensichtlich, und ich habe sie gerettet.
Er begann den Inhalt seiner Hosentaschen auf die Ablage neben dem Waschbecken zu legen.
Sie wird nicht kommen, sagte er sich. Erstens habe ich ihr im Auto von Marta erzählt. Zweitens spiele ich nicht in ihrer Liga. Weder finanziell noch körperlich. Nicht einmal annähernd. Frauen wie sie lassen sich nicht mit Männern wie mir ein.
Aber sie ist mir schrecklich dankbar. Wer weiß? Vielleicht besteht meine Belohnung darin, dass sie mir einen Besuch
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