Der Gast: Roman
verwendet – es gab Phasen, da habe ich es überhaupt nicht angerührt. In anderen Zeiten hingegen … ich weiß nicht … da habe ich es acht- oder zehnmal am Tag benutzt.«
»Du scheinst es ganz gut überlebt zu haben.«
»Und du wirst es auch überleben.«
»Dieser Kerl, der hatte doch nichts mit dem Armband zu tun, oder?«
Ihr Lächeln erstarb. »Ich glaube nicht. Ich kann es mir nicht vorstellen … nein. Hör zu, wenn du es lieber nicht tun willst … Aber lass mich dir etwas sagen. Ich habe nie etwas besonders bereut, das ich in meinem Leben getan habe. Ich bereue nur ein paar Dinge, die ich nicht getan habe. Wenn du das Armband nicht ausprobierst, Neal, wirst du in ein paar Jahren vielleicht auf diese Nacht zurückblicken und dich fragen, was geschehen wäre – und dir wünschen, du hättest verdammt noch mal die Gelegenheit genutzt.«
»Kannst du mir nicht einfach sagen, was das Ding tun wird?«
»Es wird dein Leben verändern.«
»Vielleicht mag ich mein Leben so, wie es ist.«
Ihr Lächeln kehrte zurück. »Du wirst das, was das Armband tut, lieben. Das verspreche ich dir.«
» Was tut es denn?«
»Probier es aus.«
»Okay.« Neal grinste sie an. »Wird schon schiefgehen.« Er wandte das Gesicht zur Decke, schloss die Augen und berührte das Armband mit dem Mund. Er spürte die Smaragdaugen an seinen Lippen. Er spürte das warme Gold.
Beruhigend.
Während er auf die nächsten Anweisungen wartete, behielt er das Armband am Mund und dachte dabei an Elises Lippen. Sie musste es mehrere tausend Male geküsst haben. Ihre Lippen hatten es an derselben Stelle berührt, an der es nun die seinen berührten.
Er spürte einen angenehmen Schwindel und stellte sich vor, wie er von dem Sofa schwebte. Elise beobachtete ihn. Mit der freien Hand winkte sie ihn zu sich. »Hierher«, sagte sie. »Komm rein.«
Nichts dagegen, dachte er.
Und plötzlich war er in ihr.
Als blickte er durch Elises Augen, sah er sich selbst ausgestreckt auf dem Sofa liegen, die Hände auf dem Bauch, die Augen geschlossen. Er schien zu schlafen.
Ich schlafe, klar. Träume das Ganze.
Ist er schon hier? Muss wohl. »Hallo? Neal? Bist du in mir? Willkommen an Bord.«
Mein Gott, dachte er.
Er konnte alles spüren: Elise von Kopf bis Fuß, innen und außen. Sie hatte zahlreiche Verletzungen, schien sich jedoch nicht sonderlich daran zu stören. Sie war ein wenig zittrig und nervös – und freudig erregt, ihn in sich zu haben.
Neal versuchte zu sprechen, doch es ging nicht, weder mit seinem eigenen Körper noch mit Elises.
Deshalb sagte er in Gedanken: »Ich bin hier, Elise. Was geht da vor sich? Es muss ein Traum sein, oder?«
Elise dachte: »Ich kann dich nicht hören. Das funktioniert nur in eine Richtung. So ist der Deal, Neal.« Reim dich oder ich fress dich. Hör auf damit, sonst hält er dich für schwachsinnig. »Neal, du kannst nicht mit mir kommunizieren. Ich kann nicht einmal sagen, ob du hier drin bist, aber ich vermute schon. Also, wie gefällt’s dir bis jetzt?«
Unglaublich, dachte er.
Mal sehen, wie er das findet.
Sie hob das Glas und trank.
Neal spürte den kalten Rand des Glases an den Lippen – an ihren Lippen. Er fühlte, wie die Flüssigkeit in ihren Mund strömte, ihre Zähne abkühlte. Er spürte das Sprudeln des Tonic, schmeckte den Wodka und die Zitrone. Dann schluckte sie. Es war, als würde Neal schlucken. Er spürte den Drink durch seine Speiseröhre laufen und seinen Magen wärmen.
Währenddessen hörte Elise nicht auf zu denken. Nicht als würde sie mit Neal reden, sondern für sich allein – Selbstgespräche, aber auch Fragen und Erwägungen auf anderen Ebenen, die teilweise tiefer lagen und sich kaum in Worte fassen ließen.
Es war so ähnlich, als lauschte man einem Radio, das verschiedene Sender zugleich empfing – einige deutlicher als andere, manche kaum hörbar.
Sie ließ das Glas sinken.
Hoffentlich dreht er hier drin nicht durch. »Wie geht’s, Neal?« Mal sehen, was er davon hält.
Sie wandte sich um und begann, durch das Wohnzimmer zu gehen.
Neal spürte jede Bewegung. Als würde er selber laufen, nur dass er keine Kontrolle über die Bewegung hatte. Er war eher ein Passagier.
Ein Passagier, der in Elise reiste.
Er spürte, wie ihre Muskeln arbeiteten. Er fühlte den Teppich unter ihren nackten Füßen und den Stoff des Pyjamas, der sanft über ihre Haut glitt. Er spürte, wie ihre ziemlich kleinen und nicht besonders schweren Brüste bei jedem Schritt auf und ab
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