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Der Gast: Roman

Der Gast: Roman

Titel: Der Gast: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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wissen musste . Ich konnte einfach nicht glauben, dass er tot ist, verstehst du?«
    »Ja«, murmelte Marta.
    »Ich war also auf dem Weg zu ihm, vielleicht noch einen halben Meter, bevor ich reingezogen worden wär, da hab ich so ein schreckliches Gefühl gekriegt, wie wenn ich plötzlich wissen würde, dass er weg ist, mausetot, und ich war nur einen Wimpernschlag davon entfernt, in ihm hängen zu bleiben. Da hab ich geschrien. Ich wusste, ich würde nie mehr rauskommen. Ich würde in ihm gefangen sein … für immer. Während er langsam verwest …«
    »Hör auf damit, Sue. Du sprichst von Neal, um Gottes willen.«
    »Also … jedenfalls hab ich wahnsinnig Schiss gekriegt. Ich hab geschrien und mich zur Seite geworfen, um von ihm wegzukommen, und bin dann in dem Polizisten gelandet, der da stand. Und in dem wollte ich auch nicht sein, deshalb bin ich zurückgekommen.«
    »Ich bin froh, dass du wieder da bist.«
    »Ich auch. Ich musste irgendwie … Wie zum Teufel komme ich eigentlich zu Vinces Haus?«
    Marta ließ ihre Schulter los, legte die Hand aufs Lenkrad und fuhr wieder los. »Bleib bei mir«, sagte sie. »Ich fahre dich hin.«
    Sue schüttelte den Kopf. »Bis wir da sind, kann schon alles vorbei sein. Glitt hat einen ziemlich großen Vorsprung. Wo geht’s zum Pico Boulevard? Ich glaub, von da aus finde ich den Weg, wenn ich einfach die gleiche Strecke nehme wie heute Nachmittag.«
    »Bist du sicher?«
    »Ziemlich. Den Pico Boulevard bis zum Bundy, dann zum San Vicente und weiter bis zur Greenpeace Lane.«
    »Greenhaven.«
    »Wie auch immer. Wenn ich sie seh, erkenne ich sie wieder.«
    »Zum Pico musst du einfach nur geradeaus«, sagte Marta.
    »Wir sehen uns bei Vince.«
    »Sei vorsichtig.«
    »Du auch. Und pass auf meine bessere Hälfte auf.« Sue klopfte sich mit der rechten Hand auf die linke Schulter. Dann küsste sie das Armband.

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    Sue stieg bis über die Baumkronen auf und drehte sich in die Richtung, in die auch Marta mit dem Jeep fuhr.
    Sie überflog einen Häuserblock nach dem anderen, Rasenflächen, Swimmingpools in den Innenhöfen, Gehwege, parkende Autos, Straßen. Es liefen nur wenige Leute herum. Es gab fast keinen Verkehr. Die schmalen gewundenen Straßen waren oft unter den überhängenden Bäumen verborgen.
    Alles wirkte so friedlich und hübsch.
    Sie wünschte, sie könnte es genießen.
    Sie wünschte, Neal könnte es genießen, doch er würde nie wieder irgendwas genießen.
    Es kann nicht wahr sein, dass er tot ist. Wie kann er tot sein? Wir hatten alle so ein tolles Leben vor uns.
    Dann sah sie unter sich ein breites, hell beleuchtetes Asphaltband.
    Der Pico Boulevard.
    Sie wandte sich nach links und nahm Fahrt auf.

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    Marta bremste ab, als sie sich den Stellplätzen hinter Neals Wohngebäude näherte. Alle Carports waren besetzt – bis auf den, in dem Neal normalerweise parkte. Sie fuhr hinein und schaltete die Scheinwerfer aus.
    Sie sah zu Sue.
    Und fühlte sich verlassen.
    Verdammt, du hättest bei mir bleiben sollen. Wir hätten zusammenbleiben sollen.
    Aber dann wurde ihr klar, dass Sue wahrscheinlich recht hatte; bis sie zu Vinces Haus gefahren wären, hätte alles vorbei sein können. Offenbar konnte man mit dem Armband viel schneller reisen.
    Wie schnell?, fragte sich Marta. Ist sie schon da?
    Hier ist sie jedenfalls nicht, so viel ist sicher.
    Doch es schien ihr gut zu gehen. Es sah aus, als schliefe sie friedlich auf dem Beifahrersitz. Kein Keuchen, kein Stöhnen, keine Aufschreie. Dort, wo sie war, lief bis jetzt offenbar alles glatt.
    »Bin gleich zurück«, flüsterte Marta.
    Sie zog den Schlüssel aus der Zündung und behielt das Mäppchen in der Hand. Mit der Linken öffnete sie die Tür, dann zog sie die Pistole zwischen ihren Schenkeln hervor und stieg aus. Sie stieß die Tür mit dem Knie zu.
    Als sie aus dem Dämmerlicht des Carports trat, sah sie an sich herab. In einer Hand die Pistole. Die Arme mit Neals Blut beschmiert. Das vollgesogene, an ihr klebende T-Shirt. An den Oberschenkeln Neals Blut, doch an den aufgeschnittenen Knien ihr eigenes, das über ihre Schienbeine gelaufen war.
    Wenn mich jemand sieht, ruft er mit Sicherheit die Polizei.
    Sie spähte in beide Richtungen die Gasse entlang. Es kamen keine Autos. Und sie sah auch keine Menschen – doch an den dunklen Stellen hätte sich leicht jemand verbergen können.
    Zu viele dunkle Stellen.
    Sie sah zum Jeep. Im Carport war es ziemlich dunkel; es war unwahrscheinlich, dass jemand Sue auf dem

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