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Der Gast: Roman

Der Gast: Roman

Titel: Der Gast: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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an, dass sie leer war.
    Sie betrachtete sie einen Augenblick.
    Neal hatte sie im April einmal mit zu einer Schießanlage genommen. Sie hatte die Sig Sauer benutzt, und er hatte ihr gezeigt, wie man sie lud. Aber das schien eine Ewigkeit her zu sein.
    Etwas tropfte in ihr linkes Auge. Es brannte. Schweiß? Sie blinzelte und rieb mit dem Rücken der nassen rechten Hand darüber.
    Das Reiben tat nicht gut.
    »Großartig«, stöhnte sie.
    Vergiss es. Lade die Pistole und sieh zu, dass du hier verschwindest!
    Sie drückte mit dem Daumen gegen den kleinen Hebel vor dem Hammer. Es schien nichts zu bewirken. Dann neigte sie die Pistole zur Seite und untersuchte die Unterseite des Griffs.
    Sie entdeckte einen schwarzen geriffelten Schieber am Magazin.
    Dunkel erinnerte sie sich.
    Das ist es!
    Sie drückte mit dem Daumen dagegen. Der Schieber bewegte sich. Es klickte. Das Magazin ruckte ein Stück heraus.
    Na also!
    Sie zog das Magazin komplett heraus und legte die Pistole ab.
    Mit der freien rechten Hand zog sie sich das Handtuch von den Schultern. Schnell rieb sie sich das Gesicht, die Brust und den Bauch trocken. Dann klemmte sie sich das Handtuch zwischen die Beine, wo sie es leicht erreichen konnte.
    Sie zupfte eine Patrone aus dem Plastikhalter. Sie hielt das Magazin in der Linken und stützte es auf der Kommode ab. Mit der rechten Hand drückte sie die Patrone gegen den gefederten Schlitten.
    Die Feder schien schrecklich stramm zu sein.
    Aber sie gab ein wenig nach, dann noch ein bisschen.
    Wasser und Schweiß tropften an ihrem Rücken, an den Seiten, an den Hinterbacken, an den Rückseiten ihrer Beine herab. Es kitzelte so sehr, dass es wehtat. Sie hätte am liebsten alles fallen gelassen, sich auf den Teppich geworfen und dort gewälzt, bis das Jucken aufhörte.
    Schließlich gelang es ihr mit aller Kraft, mit der Daumenspitze die Patrone an ihren Platz zu drücken.
    »Großer Gott!«, stöhnte sie.
    Sie warf einen Blick auf ihren Daumen. Er war rot und tief eingedrückt.
    Eine geschafft, bleiben noch fünf. Oder sechs? Ich bin froh, wenn ich das Ding voll bekomme.
    Sie riss das Handtuch zwischen den Beinen hervor und rieb sich hektisch von Kopf bis Fuß trocken.
    Dann klemmte sie es wieder zwischen die Schenkel.
    Sie nahm das Magazin und die zweite Patrone, atmete tief durch und machte sich wieder an die Arbeit.

6
    6
    Sue bog auf Höhe der Baumkronen vom San Vicente Boulevard ab und wollte zu Vinces Haus fliegen.
    Wo zum Teufel ist es geblieben?
    Die meisten Häuser unter ihr hatten Swimmingpools in den dahinterliegenden Gärten. Einige auch Tennisplätze. Aber Sue konnte kein Haus entdecken, dessen Pool aussah wie der von Vince.
    Es muss hier irgendwo sein. Es kann doch nicht einfach verschwunden sein.
    Sie flog nach einmal über die schmale Straße.
    Wo zur Hölle …?
    Sie visierte den weißen Vollmond an. Er wirkte riesig. Der Mondmann hatte einen überraschten Ausdruck im Gesicht.
    Jetzt komme ich, ob du willst oder nicht.
    Sie fragte sich, wie hoch sie aufsteigen konnte. Könnte sie bis zum Mond fliegen?
    Auf keinen Fall.
    Sie verspürte einen Zug, als hätte sie sich schon so weit wie nur möglich entfernt, und etwas würde sie zu ihrem Körper zurückzerren wollen.
    Das ist sowieso hoch genug.
    Sie blickte nach unten. Einen Moment lang erstaunte sie die Höhe. Ihr Magen sackte herab. Sie wollte sich irgendwo festhalten. Das war viel schlimmer als auf dem Pony-Express.
    Kein Grund zur Panik, sagte sie sich. Du kannst nicht runterfallen.
    Von dort oben konnte sie den Pazifik sehen. Und den Flughafen, vielleicht fünfzehn Kilometer weiter unten an der Küste. Und hohe Gebäude: ein paar in der Nähe; eine viel größere Gruppe von Wolkenkratzern einige Kilometer weiter östlich. Sie nahm an, dass die größte Ansammlung das Zentrum von Los Angeles bildete.
    Das Meer war fast schwarz. Ebenso die Bergkette, die unter Sue ihren Anfang nahm und sich am Stadtrand entlangzog. Sie konnte zwischen den Hügeln einige Straßen sehen sowie ein paar verstreute Lichter. Doch der Talkessel war fast so hell erleuchtet wie der Parkplatz von Video City.
    Ein paar Autos krochen über die Straßen. Sie wirkten winzig.
    Sue fragte sich, ob sie Glitts Subaru sehen könnte.
    Der San Vicente Boulevard war leicht zu erkennen; er hatte viele Spuren und einen Mittelstreifen, der mit seinen Bäumen und Wiesen einem kleinen Park ähnelte. Im Moment war die Straße leer, bis auf zwei oder drei Autos, die von der Küste kamen. Von Osten

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