Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gast: Roman

Der Gast: Roman

Titel: Der Gast: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
Vom Netzwerk:
Grund war, warum bin ich dann in Karens Wohnung gegangen?
    Nur um zu sehen, was passiert?
    Ja, klar. Du wolltest sie in diesem T-Shirt sehen. Und vielleicht auch ohne. Und vielleicht ein bisschen mit ihr rummachen.
    Er war mit dem Wissen hineingegangen, dass sie schrecklich einsam war.
    Du hast gedacht, du könntest sie wenigstens umarmen.
    Sie dabei ganz unschuldig ein bisschen anfassen.
    Ich konnte ja nicht ahnen, dass sie auf mich losgehen würde.
    Er dachte daran, wie er sie geschlagen hatte. Er hatte Angst gehabt. Er hatte sich nur verteidigt. Trotzdem war ihm die Erinnerung unangenehm.
    Aber der Schlag … das Gefühl, wie seine Faust in ihren weichen Bauch eindrang … und wie er sie festhielt, damit sie nicht stürzte … und dabei wusste, dass sie unter dem T-Shirt nackt war …
    Er hatte sie unter den Armen gepackt, doch er hätte auch leicht ihre Brüste anfassen können. Und sich später einreden können, dass es keine Absicht war … dass er ihr nur helfen wollte.
    Aber ich habe es nicht getan, erinnerte er sich. Ich habe die Situation nicht ausgenutzt.
    Ich habe nur geguckt … ein Blick zurück, als ich an der Tür stand. Nicht weiter schlimm. Es ist nicht meine Schuld, dass sie ihr Höschen ausgezogen hat. Außerdem habe ich gar nicht richtig hingesehen . Ich bin schließlich nicht in die Hocke gegangen und habe sie inspiziert . Ich bin weggegangen .
    Die Erinnerung erregte ihn, doch zugleich hatte er ein schlechtes Gewissen.
    Und ich versuche, mir einzureden, ich hätte nicht mir ihr rumgemacht?
    Natürlich habe ich mit ihr rumgemacht. Ich habe nicht mit ihr geschlafen, aber ich habe sie gefickt .
    Und sie hat mich gefickt, dachte er und sah auf seine aufgekratzten Arme.
    Die Wunden brannten. Sie hatte ihm Hautstreifen von beiden Unterarmen gekratzt: drei Striemen an einem Arm, vier an dem anderen. Einige davon waren harmlos. Doch an jedem Arm hatte er zwei tiefe Kratzer, aus denen noch Blut quoll.
    Mit Mittel- und Ringfinger hatte sie den größten Schaden angerichtet.
    Man sah den Wunden an, wie sie entstanden waren. Niemand käme auf die Idee, dass Dornen oder eine Katze daran schuld waren. Es waren eindeutig Spuren menschlicher Fingernägel.
    Wenn Marta das sieht, dachte Neal, denkt sie vielleicht, ich hätte Elise ermordet.
    Er öffnete das Medizinschränkchen, um nach einem Antiseptikum zu suchen.
    Ihm fiel auf, dass er noch nie dort hineingesehen hatte. In den Regalen standen Martas persönliche Dinge: ihre Zahnbürste, Zahnseide, Zahnpasta, kleine Plastikdosen mit Aspirin, Paracetamol und verschreibungspflichtigen Medikamenten, Wattebällchen, Salben und Cremes und ein Streifen Antibabypillen.
    Wo wir gerade beim Thema Privatsphäre sind …
    Er wollte nicht wissen, was sie dort alles aufbewahrte.
    Das war fast so schlimm, wie jemandem mit dem Armband einen Besuch abzustatten.
    Oder genauso gut.
    Er schämte sich und versuchte, die Etiketten nicht zu lesen. Und er lauschte, ob Marta vielleicht früher zurückkäme und ihn ertappen könnte.
    Als er eine antiseptische Salbe gefunden hatte, wandte er sich von dem Schränkchen ab, schraubte die Kappe ab und drückte einen Streifen auf seinen Finger.
    Während er die Salbe auf den Kratzern verteilte, überlegte er, wie er das eigentliche Problem angehen könnte – nicht die Verletzungen an sich, sondern die Gefahr, dass Marta sie sah.
    Ihm fiel nur eine Lösung ein.
    Weggehen.
    Verschwinden und erst wieder auftauchen, wenn sie verheilt waren.
    Mein Gott, dachte er, das kann ein paar Wochen dauern.
    Diese Lösung kam ihm sehr extrem vor. Aber auch verlockend.
    Ihm fielen einige gute Gründe zu verschwinden ein. Hauptsächlich würde es ihn vor Martas Neugier wegen der Kratzer bewahren. Doch er wäre auch fern von seiner Wohnung, dem Ort, wo ihm von Rasputin die größte Gefahr drohte.
    Wenn ich nicht da bin, dachte er, hat der Dreckskerl keine Chance, mich zu finden.
    Und die Polizei auch nicht. Falls sie nach ihm suchen sollte.
    Für Karen galt dasselbe. Wahrscheinlich war Neal der Letzte, den sie jemals wiedersehen wollte. Doch sie kannte seinen Namen. Falls sie im Telefonbuch nachsah, würde sie herausfinden, dass er ihr Nachbar war. Sie könnte aus dem einen oder anderen Grund zu ihm wollen.
    Es wäre schön, dann nicht dort zu sein.
    Er schraubte die Tube zu, legte sie zurück ins Schränkchen, säuberte seine Fingerspitzen mit Toilettenpapier und spülte es zusammen mit dem Papier, mit dem er seine Wunden gesäubert hatte, in der Toilette

Weitere Kostenlose Bücher