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Der Gastprofessor

Der Gastprofessor

Titel: Der Gastprofessor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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gepunkteten Linie unterschreibe?«
    »Fragen Sie ruhig, fragen Sie, ich bin nicht beleidigt. Was für mich drin ist, ist eine Prämie für jeden neuen Mitarbeiter, den ich anwerbe. Woher, meinen Sie, bekomme ich das Startkapital für meine Talmudschule mitten in Brooklyn, von einer Goi-Bank?« Dem Rebbe gelingt ein Lächeln, das schief und zugleich fein ist. »Für mich ist drin, daß ich Gnade finde vor Jahwes Augen.« Unter sanftem Schaukeln seines Oberkörpers rezitiert er: »Und er führte mich heraus ins Weite, er befreite mich, weil er Gefallen an mir hatte.« Aus Gewohnheit spuckt er auch die Quelle aus. »Ich spreche von 2. Samuel 22, Vers 20.«
    Jemand klopft energisch an die Haustür. Der Rebbe ist schlagartig hellwach und sieht Lemuel an. »Erwarten Sie Besuch?«
    »Nein.«
    Der Rebbe rappelt sich auf, tappt durch die Diele zur Haustür, öffnet sie einen Spaltbreit. Im nächsten Moment sieht er einen Schuh zwischen Tür und Rahmen.
    Von seinem Platz auf der Treppe aus hört Lemuel einen gedämpften Wortwechsel. Sekunden später kommen Mitchell und Doolittle, gefolgt von fünf FBI-Klonen in engsitzenden dreiteiligen Anzügen, durch die Diele ins Wohnzimmer gestampft. Der händeringende Rebbe bildet die Nachhut.
    Mitchell sieht Lemuel auf der Treppe. »Die Welt ist klein, oder, Sportsfreund?«
    »Wollen Sie mal was Lustiges hören?« fragt der Rebbe mit ungewöhnlich schriller Stimme. »Diese Jungs, die in ein Privathaus eindringen, wo sie nicht eingeladen sind, ohne die Mesusa über dem Türpfosten zu küssen, ohne sich auch nur die Füße abzustreifen, diese Jungs mit ihren messerscharfen Bügelfalten denken, ich könnte Agent eines fremden Landes sein.«
    »Wir denken das nicht«, korrigiert ihn Doolittle, »wir wissen es.«
    »Wenn die Syrer in Backwater aufkreuzen«, bemerkt einer der Klone, »sind die Israelis nicht mehr weit.«
    Die Klone schwärmen aus und fangen an, Schubladen zu durchwühlen. Der Rebbe packt einen am Ärmel. »Das dürfen Sie nicht.«
    Mit einer raschen Drehung des Handgelenks entfaltet Doolittle vor Nachmans Gesicht ein Blatt Papier. »Der Richter, der das unterschrieben hat, ist da anderer Meinung.«
    »Chasak« , murmelt der Rebbe. »Sei stark.«
    Mitchell geht in die Hocke und fängt an, das oberste Buch auf einem schiefen Turm am Fuß der Treppe durchzublättern. »Was sind das für Schwarten?«
    »Die habe ich im Lauf der Jahre gesammelt«, erklärt der Rebbe. »In jedem davon steht der Name Gottes.« Er schluckt schwer. »Es ist gegen jüdisches Gesetz, ein Buch mit dem Namen Gottes drin zu vernichten.«
    »Wenn’s sein muß«, gelobt Doolittle, »werden wir jedes einzelne Buch in diesem Haus untersuchen.«
    »Das würde Tage dauern«, gibt der Rebbe hoffnungsvoll zu bedenken.
    »Zeit«, sagt Mitchell, während er ein Buch am Rücken packt und es ausschüttelt, »spielt bei uns keine Rolle.«
    Doolittle bedeutet den anderen Agenten, mit der Durchsicht der Bücherstapel an den Wänden zu beginnen. Mitchell schaut zu Lemuel hoch. »Sie könnten sich auch nützlich machen und uns verraten, wo er das belastende Material versteckt hat.« Er packt ein Buch am Rücken, läßt es baumeln und schüttelt es. »Sie haben doch nicht vergessen, wer die Guten sind, oder? Zeigen Sie uns, auf welcher Seite Sie stehen.«
    Lemuel zittert wie Espenlaub. In seinem Inneren – mein Gott, wenn es doch nur einer seiner Wachträume gewesen wäre – hört er, wie ihm jemand ins Ohr flüstert: Du möchtest doch dem Genossen Stalin zeigen, auf welcher Seite du stehst, Junge? Sag uns, wo dein Vater sein Code-Lexikon versteckt hat.
    Er hört seine Antwort aus seiner verlorenen Kindheit aufsteigen. Was ist denn ein Code-Lexikon?
    In einer Ecke kauernd, sieht er gebannt zu, wie einer der gesichtslosen Männer mit einem Brotmesser die Matratze seiner Eltern aufschlitzt und anfängt, sie auszuweiden. Zwei andere reißen die Kleider aus dem Schrank und geben sie an einen dritten weiter, der das Futter aus den Mänteln und Kleidern seiner Mutter herausschneidet und dann alles auf einen Haufen in der Ecke wirft.
    Sei stark, ruft sein Vater ihm zu. Es gibt hier nichts, was sie finden könnten.
    Einer der gesichtslosen Männer sieht Lemuels Vater in die Augen. Unterhaltungen sind während der Durchsuchung der Wohnung verboten, sagt er kalt. Lemuels Vater senkt den Blick.
    Als der Schrank leer ist, zerlegen ihn die gesichtslosen Männer und lehnen die Teile an die Wand. Lemuel schmeckt Galle im Mund und rennt

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