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Der Gastprofessor

Der Gastprofessor

Titel: Der Gastprofessor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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Studium.«
    »Ich hab immer gehört, Beschnittene hätten weniger Gefühl.«
    »Also ich kann mich.« – »Also ich kann mich in dem Punkt nicht beklagen.«
    »Glaub ich dir aufs Wort. Willst du nicht bei der Telefonistin deine Telefonnummer hinterlassen, bevor du auflegst? Ha, ha! Kleiner Scherz am Rande, Charlene, Schatz. War nett, mit dir zu plaudern, Rain. Für alle, die eben erst eingeschaltet haben, ihr hört WHIM Elvira, wo sich die Elite ein Stelldichschwein gibt. Der nächste Anrufer bitte.«
    »Hey, von Priestern könnte ich dir Sachen erzählen«, redet Rain unbeirrt weiter. »Zum Beispiel damals, wo ich beichten mußte, daß ich meinen Cousin Bobby auf den Mund geküßt hatte.« Sie merkt, daß ihre Stimme nicht mehr aus dem Radio kommt. »Was sagt man dazu? Hat der Kerl doch einfach aufgelegt.«
     
    Lemuel schaut auf dem Weg zum Institut im E-Z Mart vorbei, läuft einmal schnell durch die Gänge, mit Dwayne im Schlepptau, der Block und Bleistiftstummel gezückt hat. Dwayne hat in Lemuel ein Naturtalent für Supermarkt-Management entdeckt. Der Gastprofessor ist dahintergekommen, daß ein Supermarkt viel mit einem Schiff gemeinsam hat; beides sind perfekte Metaphern für die Chaosforschung, denn bei beiden nimmt man an, daß sich Ordnung hinter der scheinbaren Unordnung verbirgt. Schon mehrmals hat Lemuel, stets auf der Suche nach Spuren von Ordnung im Chaos der Regale, Dwayne auf Fehler im Computerprogramm des Supermarkts aufmerksam gemacht, das die Lagerbestände dem voraussichtlichen Bedarf der Ortsbewohner anpaßt.
    »Ich hab das dumpfe Gefühl, daß dir der Eissalat ausgeht«, bemerkt Lemuel, als sie am Gemüsestand vorbeikommen. »Gleiches gilt für Dijonsenf, Mrs. Hammersmith’s kalorienarme Doughnuts, die importierte französische Salatsauce und die Sparpackung Stay Free.« Lemuel bleibt vor einem Artikel stehen, der ihm bislang noch nicht aufgefallen ist. »Yo! Was ist denn das, Dwayne? Was soll das heißen, ›Einmal drin, nie mehr raus‹?«
    »Na, ein ›Kakerlaken-Motel‹ eben. Eine Kakerlaken-Falle.«
    An der Kasse begrüßt ihn Shirley. Sie fährt sich mit den Fingern durch die Naturlocken. »Na, was läuft?« fragt sie. »Nichts Besonderes«, erwidert Lemuel. Shirley drückt das Kreuz durch, so daß sich ihre winzigen Brüste unter dem weißen Kittel abzeichnen. »Anscheinend hab ich immer noch meine Schwäche für Männer, die uneingeladen erscheinen.«
    »Nur keine Panik«, lacht Lemuel.
    Eine dürre Kassiererin, die an der nächsten Kasse die Einkäufe eines untersetzten Orientalen eintippt, unterbricht ihre Arbeit und bittet Lemuel schüchtern um ein Autogramm. Der Orientale, der Nadelstreifen trägt und mit einem spröden britischen Akzent spricht, fragt die Kassiererin: »Sagen Sie, ist der Mann eine Zelebrität?«
    Shirley kichert belustigt. »Ist er eine Zelebrität, ist er keine?«
    Die dürre Kassiererin klimpert mit ihren riesigen falschen Wimpern. »Ich hab Sie in der Glotze gesehn«, erzählt sie Lemuel feierlich. »Ich fand Sie allererste Sahne.«
    Der Orientale verzieht das Gesicht. »Allererste Sahne?«
    »Hey, Ihr Kunde braucht den einen oder anderen Tip, oder?« sagt Lemuel kichernd. Er dreht sich zu dem Orientalen um. »Ich kann zu Ihnen sagen, »allererste Sahne« kommt aus derselben Familie wie ›phantastös‹, und das ist ein Cousin ersten Grades von ›phallüstig‹. Astreines Englisch«, fügt er augenzwinkernd hinzu. »Sachen gibt’s.«
    Beim Betreten seines Büros wird Lemuel von seinem weiblichen Freitag aufgehalten. »J. Alfred möchte mit Ihnen sprechen«, teilt ihm Mrs. Shipp mit.
    »Ich freue mich, Sie zu sehen«, sagt ein paar Minuten später der Direktor zu Lemuel und zieht ihn in eine Ecke seines Büros. Er dirigiert seinen Besucher zu einer Ledercouch und stellt sich händeringend vor ihn hin. »Kaffee, Tee, Slibowitz mit oder ohne Mineralwasser?«
    Goodacre nickt heftig, als Lemuel zu bedenken gibt, für Kaffee sei der Vormittag schon zu weit fortgeschritten und für Alkohol der Tag noch zu jung. Der Direktor läßt sich in einem Eames-Sessel nieder, dreht sich damit um 360 Grad, als müsse er sich aufziehen, kaut nachdenklich an der Unterlippe und räuspert sich überflüssigerweise.
    »Kommen Sie mit Ihrer Arbeit gut voran?« erkundigt er sich fürsorglich. »Haben Sie sich am Institut für fortgeschrittene interdisziplinäre Chaosforschung eingelebt?«
    Lemuel blinzelt langsam. »Seit ich hier bin, ist mir vieles klarer geworden.«
    »Ich bin

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