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Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziebula
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schneller. »Nein«, sagte Martin plötzlich sehr leise. »Die Susanna ist nicht mehr hier.«
    »Wo finde ich sie?«
    »Nirgends mehr.« Dem Jungen brach die Stimme. »Im Himmel vielleicht«, flüsterte er. »Sicher im Himmel …«
    Hannes wurde es ganz flau, als hätte ein Fausthieb ihn getroffen, und musste sich an der Wand abstützen. »Was sagst du …?«Er rang nach Luft. Trieb der Bursche einen Scherz mit ihm? Er packte ihn bei den Schultern, zog ihn zu sich. »Wieso nirgends? Wieso im Himmel? Was meinst du damit? Susanna ist doch nicht …?«
    »Doch.« Der andere nickte. »Sie ist wohl ertrunken, sie konnte ja nicht schwimmen.«
    Hannes ließ ihn los, wankte an ihm vorbei und ging ins Haus. Der Boden unter seinen Stiefelsohlen schien zu wanken. Durch eine Tür fand er in die Küche, wo er sich neben dem kalten Herd auf einen Hocker fallen ließ. So saß er eine Zeitlang, rührte sich nicht, starrte nur seine Fäuste an und versuchte zu fassen, was er da gerade gehört hatte.
    Susanna tot? Ertrunken?
    Irgendwann hob er den Blick. Martin kauerte ihm gegenüber neben der Tür, hielt die angezogenen Knie umklammert und blinzelte nach Hannes’ Stiefelspitzen. Seine Lider zuckten.
    »Du bist ein papistischer Waffenknecht geworden?«, fragte plötzlich eine brüchige Frauenstimme auf der anderen Seite des Herdes. »Warum?«
    Hannes wandte den Kopf – eine Frau und eine Halbwüchsige hockten da auf einer Bank. Die Frau fahl und abgehärmt, das Mädchen hohlwangig und seltsam krumm. Susannas Tante und Cousine, vermutete Hannes.
    »Ich musste doch irgendwie nach Heidelberg …«, setzte er zu einer Antwort an, verstummte aber gleich wieder, weil er spürte, wie unsinnig jede Erklärung in den Ohren dieser armen Leute klingen musste. Er dachte an Susanna, er dachte an die blaue Standarte mit dem Hirschgeweih, und all die bösen Nachrichten kamen ihm in den Sinn, die seit dem Fall Heidelbergs bis nach Dilsberg gedrungen waren; alles, was er gehört hatte über die Gräueltaten papistischer Landsknechte, über die Angst und die Not, die tagelang zwischen Speyrer und Neckargemünder Tor und in den Ortschaften und Dörfern rund um die Stadt geherrscht hatten.
    Hannes wandte den Blick von Frau und Mädchen und richtete ihn stattdessen auf den zusammengesunkenen Burschen am Boden neben der Tür. Aus leeren Augen starrte der vor sich hin. Wieder zuckten seine Lider. Was mochten diese Augen in den vergangenen Wochen gesehen haben? Was mochte alles in diesem Haus geschehen sein? Wie viel mochten sie verloren haben, diese Leute hier, denen das Unglück aus jeder Pore kroch? Und was mochten erst die Mutter und ihre Tochter dort auf der Herdbank erlebt haben? Hatte der Feldprediger in Dilsberg nicht von Frauen und Mädchen erzählt, die auf der Flucht vor Soldaten in Brunnen, Teiche und in den Neckar gesprungen waren? Und plötzlich bekamen Martins Worte einen Sinn – sie ist wohl ertrunken, sie konnte ja nicht schwimmen.
    »Was ist mit Susanna?« Hannes Stimme klang plötzlich sehr heiser. »Erzählt’s mir doch.« Er wandte sich an die Frau auf der Herdbank. Die antwortete nicht, wich seinem Blick aus und legte den Arm um die Halbwüchsige neben sich.
    »Krabaten in der Vorstadt, hieß es plötzlich«, antwortete der Bursche an der Tür, »da sind wir losgerannt, zur Hauptstraße, über den Marktplatz. Wollten zu den Mühlen und über den Neckar.« Stockend berichtete Martin: Wie er mit Schwestern, Cousinen und Nachbarn durchs Neckargemünder Tor in die östliche Vorstadt geflüchtet war, wie er Susanna aus den Augen verloren hatte, wie Landsknechte aus der Mönchsmühle stürmten, wie er mit einer Schar Frauen und Mädchen in den Neckar gestiegen war und mit nur zweien am anderen Ufer wieder heraus. Susanna sei nicht dabei gewesen.
    Ob sie denn wirklich mit den anderen ins Wasser gesprungen war, wollte Hannes wissen, ob Martin sie wirklich unter denen im Fluss gesehen hatte. Je mehr er in ihn drang, desto unsicherer wurde der Junge und musste schließlich einräumen, dass er Susanna zum letzten Mal auf dem Marktplatz gesehen habe. Und das Mädchen wusste auch nicht viel mehr, und ihre Mutter nur, dassvon Susanna jede Spur fehlte, seit die Papisten die Stadt gestürmt hatten.
    Hannes verließ das Haus mit hängendem Kopf und gebeugtem Rücken. Wie abgestorben kam er sich vor, wie eine leblose Hülle um ein nutzloses Hirn und einen Haufen schmerzender Erinnerung. An den Ritt ins Lager erinnerte er sich am Morgen nicht mehr,

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