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Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziebula
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gleich wieder gehen!« Sie sprach laut, wie mit einer Schwerhörigen. Die Großmutter hatte aber immer gut gehört.
    Susanna trat ans Bett. »Da bist du ja endlich, Anna!«, sagte die Großmutter mit strenger Miene. Susanna zuckte zurück.
    »Das ist die Susanna, Frau Mutter, nicht die Anna!«
    »Anna, du Luder! Was fällt dir ein, so lange fortzubleiben!« Die Greisin deutete zur offenen Kammertür. »Auf in die Küche! Feuer schüren, Wasser aufsetzen! Die Sonne geht gleich auf, die Gesellen sind schon wach …!«
    »Ich bin’s doch, Großmutter.« Susanna beugte sich zu der Greisin hinunter, nahm ihre Hand. »Ich, die Susanna.«
    »Nicht die Anna!«, rief auch die Mutter der Alten ins Ohr. »Das ist unsere Susanna!«
    Susanna wollte die knochige Hand der Großmutter küssen, doch die stieß sie weg. »Susanna?« Die Greisin stierte jetzt aus trüben Augen voller Angst, von Strenge und Zorn war nichts mehr zu spüren. »Kein Wort zu Susanna, hörst du, Anna? Kein Wort über Hannes, kein Wort über das Walddorf!« Sie packte Susanna, hielt sie fest. »Kein Wort über die Toten. Und jetzt geh und weck den Lehrbub!«
    Susanna wich zurück, wusste nicht, was tun, was antworten. Wie in einem bösen Traum kam sie sich vor.
    »Sie ist manchmal nicht recht bei sich«, flüsterte die Mutter.
    Wie die Tante, dachte Susanna. Und war denn die Mutter selbst recht bei sich? Die drückte jetzt die Greisin in die Kissen, redete beruhigend und beschwörend auf sie ein und sprach schließlich ein Kindergebet mit ihr.
    »Was meint sie denn?«, wollte Susanna wissen, als die Mutter die Kammertür hinter sich schloss. »Warum kein Wort über Hannes und das Walddorf? Was ist denn geschehen?«
    »Niedergebrannt«, sagte die Mutter. »Die Bayrischen. Jedes Haus, jeden Stall, jeden Schuppen. Gehaust wie die Höllenhunde haben sie. Angeblich lebt dort oben keiner mehr.«
    Sie zog einen zweiten Mantel über, einen des Großvaters, band sich ein Tuch um und nahm die Öllampe. Susanna stand wie erstarrt und versuchte zu begreifen. Die Mutter indes öffnete die Haustür, hakte sich bei ihr unter und zog sie mit sich. »Gehen wir zum Friedhof. Die Männer beschützen uns.«
    Den Weg durch die Nacht zum nächtlichen Friedhof erlebte Susanna wie eine halb Betäubte. Lief sie denn wirklich über die Mühltalstraße? Gehörten sie wirklich zu Handschuhsheim, die Häuser rechts und links der Straße? Und die Frau, deren Beine sie bewegte, war das wirklich sie? Und wieso gingen diese drei Gaukler hinter ihnen her? Und Hannes lebte nicht mehr? Nein, das stimmte doch alles gar nicht … Sie fühlte sich ein wenig wie zehn Tage zuvor, als die wilden Soldaten im Haus an der Schlossstraße sie überwältigten.
    Später, zwischen vielen Holzkreuzen, beleuchtete die Mutter zwei Gräber. Vater und Großvater lagen nebeneinander. Auf den Kreuzen hatte man mit schwarzer Farbe nur die Namen und die Tage geschrieben, an denen die Männer geboren und gestorben waren. »Wenn wir wieder einen Steinmetz haben, bekommen sie Grabsteine.« Die Mutter lächelte seltsam entrückt. »Da, wo sie jetzt sein dürfen, fragen sie nicht nach Holz oder Stein, wisst ihr? Da geht’s ihnen wohl, viel besser als uns hier unten.«
    Susanna musste weinen, während die Mutter weiter vom Vater und vom Großvater sprach. Es klang, als würde sie mit sich selbst reden. Sie erzählte, was für fleißige Männer die beiden gewesen seien, wie gut sie zu ihr waren, wie sie Haus, Hof und Werkstatt in Ordnung hielten all die Jahre, wie sparsam und gerecht sie gelebt hatten, und wie sehr man sie geachtet hatte in Handschuhsheim und den Dörfern ringsum.
    Wie sie starben, erzählte sie nicht.
    Susanna weinte die ganze Zeit und wünschte, die Mutter würde aufhören wie eine Irrsinnige zu lächeln, würde endlich aufhören mit all dem Gerede. Jemand legte ihr von der Seite die Hand auf die Schulter – sie zuckte zusammen, wich aus und sah in die mitleidige Miene des Gauklers, den die anderen Stephan nannten.
    Aus dem lächelnden Mund der Mutter stürzten immer noch und immer mehr Worte. Wie sie unbedingt ihn, den Meister Almut, hatte heiraten wollen, erzählte sie jetzt, wie es bergauf ging mit der Werkstatt all die Jahre danach und was für Pläne der Meister Almut noch gehabt habe.
    Irgendwann trat auf einmal der junge Gaukler ans Grab. »Es ist gut, Meisterin Almut. Zwei brave Männer liegen hier, und rechts und links von ihnen liegen vielleicht ähnlich brave, vielleicht schlechtere.« Die

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