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Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziebula
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nur, dass er danach die ganze Nacht wach gelegen und sich von einer Seite auf die andere geworfen hatte.
    Wie von fern drang nach Sonnenaufgang das Kommandogebrüll des Leutnants und des Feldwebels an sein Ohr, während sie das Lager abbauten und Zelte, Stangen und Zeug in den Wagen verstauten. Hannes Stein arbeitete für zwei, und jeder Handgriff saß – doch er wusste kaum, wo er war und was er tat.
    »Aufsitzen!«, hieß es gegen Mittag, danach ging es mit sechs Kompanien den Neckar entlang erst nach Westen, später nach Nordwesten, vorbei an Wieblingen und Ladenburg auf die Festung Mannheim zu. Unterwegs schlossen sich Teile des großen Trosses der Tilly-Armee an: zahllose Ochsenkarren und Pferdegespanne, Frauen, Verwundete und Kinder, so viele, dass ihre Zahl gut eine kleine Stadt gefüllt hätte.
    Vier Kompanien ritten weiter der belagerten Festung zu, zwei blieben bei Lager und Tross, der hinter Seckenheim das seit Tagen dort entstehende Heerlager durch hunderte Zelte, Hütten, Wagen und Unterstände erweiterte. Die Reiterei der Einsatztruppen lag weiter südlich bei Rheinhausen, die Infanterie hatte sich nördlich von Mannheim in den schönen Neckarauen verschanzt.
    Hannes half seinem Leutnant das Zelt für dessen Frau und Kinder aufzuschlagen. Als er am späten Nachmittag einen geraubten Tisch vom Wagen hob, entdeckte er die unselige Standarte im Gewimmel des Trosslagers: das goldene Hirschgeweih auf blauem Grund.
    Er vergaß Tisch und Leutnant, lief zwischen Zelten, spielenden Kindern, zeternden Weibern, Wagen und Zugtieren hindurch indie Nähe der Reiter, aus deren Mitte die Standarte ragte. Eine Rotte Arkebusiere, zehn Männer ungefähr, vier hatten sich aus den Sätteln geschwungen. Die Fahne steckte im Gras.
    Hannes sah ihn sofort, den dürren, hohlwangigen Cornet mit dem großen Adamsapfel, den Glubschaugen und dem blau-roten Federbusch auf der Sturmhaube. Er streckte die Arme zu einem Pferdewagen hinauf, und neben ihm stand, mit über der Brust verschränkten Armen, der andere: der Rittmeister mit den langen schwarzen Locken und den weißen Federn auf dem Hut.
    Das waren sie. Ja, das waren die Reiter der Kompanie, die sein Walddorf angezündet, die seine Familie getötet hatten.
    »Komm schon, Landsknecht, hilf uns!« Eine Frau packte ihn am Arm, wollte ihn zum Gewirr ihrer Zeltplanen zerren. »Sollst es nicht bereuen!«
    Hannes stieß sie von sich, hatte nur Augen für die Reiter unter der blauen Hirschstandarte. Weg von der schimpfenden Frau – eine Trosshure, wie er schnell merkte –, schlug er einen Bogen um die Reiterrotte, sodass er das Gesicht ihres Rittmeisters besser sehen konnte.
    Ein kantiges und dennoch junges Gesicht, um dessen Mund sich ein ebenso spöttisches wie gleichgültiges Lächeln eingegraben hatte. Haltung und Bewegungen des Mannes wirkten matt, die großen, weißen Federn in seinem roten Hut waren Schwanenfedern.
    Zwei seiner Reiter und der Cornet halfen einem massigen Kerl mit struppigem Bart und verklebtem Schwarzhaar vom Wagen. Leidend sah der aus, und er verzerrte das Gesicht wie unter großen Schmerzen. Hinter ihm auf dem Wagen raffte eine Frau Kleider und Decken zusammen, bevor sie nach ihm vom Wagen sprang.
    Der Hauptmann, der Cornet und die beiden anderen Reiter führten den Verletzten zu einem Zelt; die Frau, beladen mit allerhand Hausrat, ging hinter ihnen her. Ihr Gang, ihre Gesten, dasBlond ihres Haares – all das erschien Hannes mit einem Mal so vertraut, dass es ihm den Atem verschlug. Und als er einen kurzen Blick auf ihr Gesicht erhaschte, erkannte er sie sofort: Monica. Seine Schwester.

6
    D u musst wieder gehen!« Eine verzweifelte Innigkeit lag in der Umarmung der Mutter. »Du musst schnell wieder fort aus Handschuhsheim!« Bereits zum vierten Mal sagte sie das und umklammerte Susanna dabei doch so fest, als wollte sie ihr Kind niemals mehr aus dem Haus lassen. Susanna konnte kaum atmen.
    Es war später Abend, die Mutter trug einen geflickten Mantel über dem Nachtgewand. In der Werkstatt brannten Öllampen und Kienspäne. Sie standen unter der Haustür – Susanna und die Mutter auf der Schwelle, die Gaukler noch draußen. Unruhig spähten die Männer nach allen Seiten.
    Weil ihr die Stimme brach, schwieg die Mutter erst einmal, drückte ihr Gesicht in Susannas Halsbeuge und weinte ein paar Tränen. Susanna erinnerte sich nicht, jemals mit derart stürmischer Zärtlichkeit von ihrer Mutter umarmt worden zu sein. Sie machte sich von ihr los, weil die

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