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Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziebula
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seiner Familie gewesen war. Sie zog Susanna am Arm von der Scheune weg zum Waldrand. Kreuze aus starken Buchenästen und angekohlten Latten standen dort. David zählte beinahe zwanzig Gräber. Herbstblumen blühten darauf, und nirgends auch nur ein Hälmchen Unkraut. Auf einem Grab entdeckte David Spielzeug, auf anderen Werkzeuge und Küchenbesteck.
    Manche habe sie nicht begraben können, sagte die Frau, vor allem die Körper kleiner Kinder hätten wilde Tiere geholt, andere seien ganz und gar verbrannt. Sie selbst habe sich eine Hütte gebaut, tief im Wald – aus Angst, die Soldaten könnten zurückkommen.
    Susanna fragte nach ihrem Verlobten. Ein Reitersoldat habe sie in den Wald gezerrt an jenem Höllentag, erzählte die Frau, Hannes sei plötzlich aufgetaucht – »wie ein Engel«, diese Worte gebrauchte die Frau, »wie ein Engel stand er plötzlich da« und habe sie vor einem schlimmen Schicksal bewahrt. Sie selbst habe fliehen können, doch es sei wohl zu einem Kampf gekommen und später seien Soldaten zu Pferd hinter Hannes her den Wald hinauf geprescht, und ja, sie haben ihn erschossen, und ein wildes Tier muss wohl seinen Körper weggeschleppt haben. »Nur seinen Mantel und sein Wams habe ich im Schnee gefunden.«
    Sie bedeutete Susanna zu warten, hastete in die Scheune und kehrte mit einem schmutzigen grauen Wollmantel und einem dunklen Wams zurück. Beide Kleidungsstücke hatten Löcher im Rücken, im Futter des Wams steckte noch eine Kugel. Susanna drückte den Stoff an die Brust und senkte den Kopf. Lange stand sie so, wie eine Statue.
    Danach wollte sie allein sein und schickte David fort.
    Die Landgräfin und die Zwergin baten die Vogelscheuchenfrau darum, ihre Hütte sehen zu dürfen, und verschwanden mit ihr im Wald. Die Hunde liefen hinter ihnen her. Rübelrap schleppte zwei Kisten Äpfel herbei, verstaute sie im Wagen und stieg dann mit einem leeren Korb den Weinberg hinauf, wobei ihm der Affe auf der Schulter hockte.
    David und Stephan blieben bei Bela und den Vögeln am Wagen. Sie beobachteten Susanna. Die saß mit gekreuzten Beinen auf der Bachbrücke, hielt das durchlöcherte Wams und den Mantel gegen die Brust gedrückt und schaukelte hin und her und hin und her. Manchmal konnten sie ihre Stimme hören, dann rief sie einen Namen – Hannes –, doch meistens wimmerte und weinte sie nur.
    David schnürte es das Herz zusammen, sie so zu sehen. Und Stephan sagte: »Das arme Kind wird uns doch nicht verrückt werden wie seine Großmutter?«
    »Oder wie die Mutter«, murmelte David. »Hier jedenfalls kann Susanna nicht bleiben, sonst wird sie ganz gewiss verrückt. Und in Handschuhsheim sowieso. Wir müssen sie mit uns nehmen.«

7
    D ie Mannheimer Bürger und die englische Garnison der Stadt wollten nicht kapitulieren, und so lernte Hannes den Krieg als schweißtreibendes Handwerk kennen: Laufgräben ausheben, Wälle aufschütten, Kanonen hinaufschleppen, die Laufgräben in Richtung der belagerten Stadt vorantreiben, wieder Wälle aufschütten, wieder Geschütze hinaufschleppen.
    »Schanzen« nannte man das. Eine Knochenarbeit wie Bäume fällen, Dachstühle aufschlagen oder Ochsen schlachten.
    Die Dragoner seiner Kompanie mussten mit anpacken und zugleich die Landsknechte bei den Arbeiten an den Wällen und in den Gräben beschützen. Was immer Hannes tat – die Mauern der belagerten Stadt beobachten, Erde schaufeln, sich mit ausfallenden englischen Soldaten schlagen, Kanonen schleppen –, er tat es wie ein Arbeitstier ohne Bewusstsein. Sein Herz war ganz woanders. Sein Herz trauerte – und wenn es nicht trauerte, dann hasste es.
    Dachte er an Susanna, trauerte er; dachte er an seine Schwester Monica und die Männer unter der blauen Standarte, hasste er. Seine Rachepläne wurden immer konkreter, immer monströser, so sehr hasste er diese Männer.
    Hannes brannte darauf, zum Lager zu reiten und endlich, endlich mit seiner Schwester zu sprechen. Tagelang fand er keine Gelegenheit dazu. Die Belagerungsschanzen zu verlassen hätte ihn dem Profos und der Willkür seiner Steckenknechte ausgeliefert. Prügel war das mindeste, was ihm dann gedroht hätte. Eine Bestrafung jedoch – noch dazu eine öffentliche – hätte ihn geschwächt und vor allem unter den Landsknechten bekannt gemacht. Hannes aber wollte stark und unauffällig bleiben. Immerhin hatte er den Tod von beinahe siebzig Männern beschlossen.
    Nach seinem Willen sollten alle sterben, die unter der blauen Standarte mit dem goldenen

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