Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
die Maximilian von Bayern oder der Kaiser selbst an den Neckar geschickt hatten. Maximilian sah auch auffallend viele Männer in priesterlichen oder mönchischen Roben auf dem Weg zwischen Brücke und Schlossstraße. Jesuiten, vermutete er. Der General Tilly hätte seine Freude gehabt.
Dazu kam der Anblick zerschossener Dächer und zerbrochener Fassaden. Sogar das Gemäuer und die Fenster der großen Kircheauf dem Marktplatz – wie hieß sie gleich? – hatte man noch nicht repariert. Beim Hospital und der ehemaligen Hofkanzlei häuften sich Schuttberge. Nirgendwo etwas, das dem Auge guttat; jedenfalls sah Maximilian nichts.
Obwohl es im Schloss oben allenfalls unter den Bediensteten Heidelberger Bürger gab, meinte der Rittmeister das Graue und Freudlose auch hier zu empfinden. Von den Menschen, die er im Schlosshof, in den Hallen und Zimmerfluchten sah, ging nichts Leichtes, nichts Anmutiges aus; niemand lächelte, niemand scherzte, kein lautes Rufen, kaum einer, der sich ohne jene Steifigkeit bewegte, die seit ein paar Jahren zunehmend als würdevoll, edel und einem wichtigen Manne angemessen galt.
Um wie viel heiterer ging es sogar im Heerlager zu, wie viel menschlicher unter Huren und räuberischen Pferdejungen, ja selbst unter abgebrühten Feldwebeln, Wachtmeistern und Hauptmännern.
Lag es an dieser düsteren und starren Atmosphäre, dass Maximilian das Durchatmen schwerfiel, während er den beiden prächtig gekleideten Schlossgardisten zu den Gemächern seines Vaters folgte? Vielleicht trübte ihm auch sein Gemütszustand den Blick und die Aussicht auf die bevorstehende Begegnung mit dem Herrn Grafen.
Maximilian kämpfte gegen den Drang, umzukehren. Doch die Gardisten machten schon Halt vor einer großen Flügeltür, hinter der sein Vater seit bald drei Wochen wohnte, und nun war es zu spät – die feindliche Schlachtreihe stand bereit, und der junge von Herzenburg musste durch.
Cornet, Feldwebel und Reiter ließen sich im Schlosshof bewirten, nur seine Trabanten Conrad und Simon begleiteten ihn. Während die Gardisten klopften und auf eine Antwort lauschten, bedeutete er den beiden Burschen mit knappen Gesten, vor der Flügeltür Stellung zu beziehen und auf ihn zu warten.
Die Gardisten klopften erneut, doch die Antwort aus demRaum hinter der Tür blieb weiter aus. Nach etlichen Atemzügen erst öffnete sich ein Türflügel, und eine junge Frau mit zerknitterten Kleidern und zerzaustem Haar schlüpfte in den Gang hinaus, lächelte verlegen und huschte davon – das erste Lächeln, das Maximilian begegnete, seit er eine halbe Stunde zuvor die Neckarbrücke überquert hatte. Ein paar Wimpernschläge lang standen die Männer in einer Wolke schweren Parfüms. Und schließlich ertönte jene Stimme, die Maximilian von Herzenburg immer ein wenig an rostiges Blech erinnerte – an rostiges Blech, wenn es zerriss. Eine Stimme, die er schon viel zu lange kannte und viel zu gut, und die ihm dennoch nie vertraut geworden war. »Was gibt’s denn?«, tönte sie unwirsch.
Die Leibgardisten öffneten den Türflügel vollständig und meldeten den Rittmeister Maximilian von Herzenburg mit zwei Trabanten. »Na dann mal herein mit dem Rittmeisterlein!«, polterte es aus dem Raum jenseits der Türschwelle.
Maximilian zuckte zusammen und hoffte, dass weder die Gardisten noch seine Burschen es gemerkt hatten. An den Gardisten vorbei trat er ein; nur zwei Schritte weit, dann blieb er stehen und deutete eine Verneigung an. »Herr Graf?« Plötzlich wurde ihm bewusst, dass seine Hände feucht und seine Knie weich waren; er schämte sich dafür, und seine Gestalt straffte sich. »Erfreut, Euch gesund wiederzusehen.« Hinter ihm knarrte der Türflügel und fiel ins Schloss.
»Er kommt spät, will mir scheinen.« Sein Vater saß neben dem Fenster in einem blau-weiß gepolsterten Fauteuil und streckte ihm die Linke entgegen. Sein rechtes Bein ruhte auf einem breiten und mit gleichem Polster bezogenen Hocker. »Seit einem Monat warte ich schon auf Ihn, derweil ich mich in dieser trübsinnigen Stadt langweilen muss.«
Zehn Schritte ging Maximilian von der Tür bis zu seinem Vater, und während dieser Schritte zählte er allerhand Gründe auf, warum er jetzt erst nach Heidelberg reiten konnte: Ausfälle derFrankenthaler Garnison, das Hochwasser der ersten Märzhälfte, wieder Ausfälle der Frankenthaler und zuletzt Verhandlungen mit den Belagerten. Dabei vergaß er nicht, einfließen zu lassen, dass sein Vater ja erst vor
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