Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
ihnen? Kümmert man sich um die Bepflanzung? Haben die Dahlien geblüht im letzten Herbst?« Hohl und fremd klang ihm die eigene Stimme in den Ohren.
»Wir planen die Zukunft, und Er denkt an die Vergangenheit? Wir bedenken den gemeinsamen Kriegszug, und Er spricht von den Toten?« Der Herr Graf wurde laut. »Ist Er noch ganz bei Trost?«
»Gehören sie denn wirklich nur der Vergangenheit an, unsere beiden Toten? Zwölf Jahre ist es her, doch manchmal ist mir, als begleite Hildegard mich auf Schritt und Tritt.« Mit jedem Satz fiel Maximilian das Sprechen leichter. »Sie war meine Zwillingsschwester, sie war mir wie aus dem Gesicht geschnitten – müsst ihr denn nie an Eure Tochter denken, wenn Ihr mich seht, Herr Graf?«
Sein Vater sperrte den Mund auf, wollte etwas sagen – doch nur eine Art heiseres Grunzen löste sich aus seiner Kehle. Er führte den Becher zu den wulstigen Lippen, nippte daran, ließ Maximilian nicht aus den Augen.
»Sie sagen, die Frau Gräfin hätte …«
»Genug! Ich will nicht über Tote sprechen, das bringt nur …!«
»Aber ich«, fuhr Maximilian ihm ins Wort. »Die Frau Gräfin hätte sich im Wahnsinn vom Turm gestürzt, erzählt man sich bei Eurem Vetter auf Schloss Hartenfels.«
»Dann wird es wohl so sein, und jetzt genug davon.« Jetzt sprach der Graf von Herzenburg leise, bedrohlich leise.
Maximilian ließ sich nicht beirren, konnte und wollte sich nicht wehren gegen die Worte, die aus seinem Innersten hervorsprudelten. »Sofort, Herr Graf, nur noch eine Frage: Könnte es die Frau Gräfin in den Wahnsinn getrieben haben, mit ansehen zu müssen, wie ihr Gatte schon ihre kleine Tochter als seine Hure auf sein Lager gezwungen hat?«
Das Blut schoss dem Grafen ins Gesicht. Der Weinbecher entglitt seiner Hand, und als er auf dem Boden aufschlug, brüllte der Graf einen Fluch, schoss nach vorn und schlug zu. Weil Maximilian mit dem Kopf ausweichen konnte, traf sein Vater ihn nur an der Schulter, doch die Wucht des Fauststoßes schleuderte ihn nach hinten gegen die Stuhllehne und dann samt des Stuhls zu Boden.
Schwer atmend und mit hochrotem Schädel hockte der Graf auf der Kante seines Fauteuils. »Es ist genug, habe ich gesagt«, keuchte er.
»Und der Wahnsinn trieb sie auf den Turm, als sie sehen musste, wie der eigene Gatte die Tochter erschlagen hat, weil die ihm nicht mehr zu Willen …«
Wieder brüllte der Graf von Herzenburg, sprang auf und trat zu. Maximilian packte sein Bein, sprang hoch und riss es dabei nach oben, sodass sein Vater rücklings zu Boden stürzte. Mit den Knien warf er sich auf dessen Brust und holte zum Schlag aus.
»Das wagst du nicht!«, zischte sein Vater. »Du wagst es nicht, deinen Vater zu schlagen!«
Maximilian sprang auf, trat ein paar Schritte zurück. »Ich werde niemals unter dem Kommando eines Mädchenschänders reiten«, flüsterte er. »Niemals kämpfe ich an der Seite des Mörders meiner Schwester.«
»Du wirst tun, was ich dir sage.« Der alte Graf von Herzenburg setzte sich auf, rieb sich die Brust. »Sie wollte nicht mehr tun, was ich sage, und hat dafür bezahlt, die kleine Hure.« Maximilian stockte der Atem, er riss das Seitengewehr aus der Scheide. »Das wagst du nicht, Rittmeisterlein!«, zischte sein Vater. »Du wagst es nicht, deine Klinge gegen deinen Vater zu richten!«
Maximilian schrie auf und fuhr herum.
10
D er Regen hatte aufgehört, und der April begann. Endlich Frühlingswetter. Susanna lehnte über das Brückengeländer und blickte auf den Fluss. Geäst, Bretter und Unrat trieben vorbei. Der Neckar führte Hochwasser.
Die Kinder des Großcousins warfen Steine in den Fluss. Wenn ein Ziegenkadaver oder ein Baumstamm unter der Brücke verschwand, rannten sie auf die andere Seite und versuchten dort, das Treibgut noch einmal zu treffen, bevor die starke Strömung es endgültig davontrug. Zwei halbwüchsige Mädchen lehnten neben Susanna und schwatzten. Am Ende der Brücke, am anderen Ufer, bewachten fünf württembergische Soldaten die Zufahrt. Weitere zehn standen auf der Stadtseite unter dem Brückentor oder darüber auf dem Wehrgang der Mauer. Natürlich gafften sie, natürlich feixten sie; einer am anderen Ufer hatte sogar gepfiffen. Susanna tat, als merkte sie es nicht.
Die Heilbronner Tage der Gaukler waren gezählt. Abschiedsstimmung herrschte. Aus einem Haus am Neckarsulmer Tor hatte man gestern Abend ein totes Mädchen getragen. Die Pest erhob wieder ihr schwarzes Haupt. In zwei Wochen wollte Stephan
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