Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
gewiss. Doch wenn Maximilian an seinen Vater dachte, verging ihm sogar die Lust, seine Cousine wiederzusehen – und in vertrauter Weise zu begrüßen.
Viel lieber wäre er jetzt oben in Isenburg oder Hanau gewesen, wo der General Tilly die Hauptmacht seines Heeres hatte überwintern lassen. Doch gemeinsam mit einigen Infanteriekompanien hatten von Herzenburg und seine Reiter den ganzen Winter über Frankenthal belagern und frieren und hungern müssen. Auch das eine Folge seines blutigen Streites mit dem Cornet. Inzwischen ging der März zu Ende, und Frankenthal hatte sich noch immer nicht ergeben.
Hinter dem Rittmeister wurden plötzlich Stimmen laut, und von Herzenburg drehte sich um: Der Feldwebel und zwei Reiter waren aus dem Glied zu den Leuten am Straßenrand geritten und abgestiegen. Sie besahen sich die Kuh, rissen dem Knaben, der sie führte, die Leine aus der Hand.
Von Herzenburg zerrte am Zügel, gab seinem Schimmel die Sporen, lenkte ihn an seinen Reitern vorbei und zurück bis zu den dreien bei der Kuh und den zerlumpten Wanderern. Dort hielt er an, blieb aber im Sattel sitzen. »Was geht hier vor?«
Dem Knaben, der die Kuh geführt hatte, liefen die Tränen über das Gesicht. Der Feldwebel, schon im Begriff, das Tier zu seinem Pferd zu zerren, feixte. »Fast wären wir vorbeigeritten an dem Braten, was, Herr Rittmeister?«
Von Herzenburg hatte einen der Corporale zum neuen Feldwebel gemacht – oder zum Wachtmeister, wie man bei den Reitersoldaten auch sagte –, einen kleinen, drahtigen Sachsen namens Peter Laußnitz. Seit seiner Beförderung neigte er zu großspurigen Reden und wichtigem Getue.
»Bitte, Ihr Herren!« Von der Spitze der Elendskolonne eilte jener Mann herbei, der von Herzenburg zu furchtlos gegrüßt hatte. Der Halbwüchsige blieb ihm dicht auf den Fersen. »Seht dochunsere kleinen Kinder – wir ernähren sie von der Milch dieser Kuh! Bitte lasst uns das Tier, sie werden uns sonst verhungern!«
Seine Stimme klang viel zu fest nach von Herzenburgs Geschmack, auch der Blick, mit dem er zu ihm heraufsah, hätte durchaus flehender sein können. Der Rittmeister musterte erst den Mann und dann den Halbwüchsigen neben ihm; ohne Zweifel sein Sohn, denn er schien ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. »Wer ist Er und wohin will Er?«
»Nach Amsterdam, Herr. Wir waren Pfarrer in Dilsberg und Eberbach.« Er deutete auf einen anderen, jüngeren Mann; dem flackerte der Blick und bebten die Kaumuskeln vor Angst. »Ihr wisst ja, Herr, dass die neue Obrigkeit uns reformierte Prediger nicht mehr in der Kurpfalz duldet.«
»In der Pfalz, wollte Er sagen«, entgegnete Maximilian von Herzenburg gereizt. »Die Kurpfalz gibt es nicht mehr, weiß Er das denn noch immer nicht? Weilt Er denn nur im Himmel mit Seinen Gedanken?«
»Nein, Herr.« Weil der Mann schwieg, ergriff der Halbwüchsige das Wort. »Doch, Herr. Wir wissen schon Bescheid – es gibt keine Kurpfalz mehr. In der Pfalz duldet die neue Obrigkeit uns nicht.«
Was im Geheimen längst vereinbart gewesen war, hatte der Kaiser Ferdinand im vergangenen Monat nun auch öffentlich vollzogen: Er hatte die Kurwürde von dem Pfälzer Fürsten Friedrich V . an den Großherzog von Bayern, an Maximilian I . übertragen.
Der Rittmeister ließ seinen Blick über die Hungerleider wandern. Lauter elende Gestalten, manche nur noch Haut und Knochen, die zudem schlecht rochen. Die beiden Kinder auf Hund und Schaf hatten seltsam geblähte Bäuche. Die Frau auf dem zweiten Schaf, obgleich noch jung, blickte mit gelben Augen teilnahmslos aus pergamentenem, gelblichem Gesicht. Ekel schüttelte von Herzenburg.
Dies war nicht der erste Elendszug von Pfaffenfamilien, der ihm auf dem Weg von Frankenthal an den Rhein begegnete. Undalle wollten sie hinauf nach Norden; nach Brandenburg, wo man lutherisch, oder in die Generalstaaten, wo man reformiert glaubte. Man verjagte sie einfach aus ihren Dörfern, die evangelischen Pfarrer; die Pfalz sollte ja wieder ganz und gar katholisch werden. Nicht einmal als Privatmänner durften die Prediger in ihrer Heimat wohnen bleiben. Von Herzenburg fand das übertrieben, doch was ging es ihn an.
Er sah dem Halbwüchsigen ins Gesicht. »Wie heißt Er?«
»Mathias, Herr.«
»Er heißt wie du, Mathis«, wandte er sich an seinen Cornet, der ihm gefolgt war. »Was sagst du?« Der Cornet sagte gar nichts, stierte nur aus seiner ungarischen Sturmhaube auf den Jungen hinab. »Will Er auch einmal Prediger werden wie Sein Herr
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