Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
bürsten. »Noch etwas«, sagte sie, ohne Susanna anzuschauen. »Wenn du dir einen Gefallen tun willst, und das solltest du, dann verlasse dieses Haus und ziehe mit uns. David ist nicht der Einzige unter uns, den das glücklich machen würde.«
»David?« Susanna setzte sich auf. »Aber ich bin doch verlobt …«
»Dieser Hannes? Was redest du denn da, Kindchen!« Mit der Bürste deutete Marianne zur Wand, wo neben Susanna Hannes’ Mantel lag. »Der ist doch tot.«
»Aber hier drin«, Susanna deutete auf ihre Brust, »hier drin bin ich trotzdem noch verlobt.«
Marianne schüttelte den Kopf. »Das vergeht. Glaub mir, Kindchen, das vergeht.«
9
A n der Spitze von zwei Reiterrotten galoppierten von Herzenburg und sein Cornet durch die Ruinen eines Neckardorfes. Die Märzsonne am strahlend blauen Mittagshimmel und die ausschlagenden Bäume machten den Männern gute Laune – nur dem Rittmeister nicht. In den Gärten, zwischen Schutt und verkohlten Trümmern, blühten Tulpen und Iris. Maximilian nahm sie kaum wahr.
Dagegen fiel ihm auf, in wie wenigen Gärten Menschen die Erde umstachen oder Bäume schnitten, in wie wenigen Höfen Wäsche flatterte, und dass sich nur vereinzelt Kinder zeigten an den zerbrochenen Fenstern und in den Toren halb eingestürzter Scheunen und Ställe.
Die Verwüstung des Dorfes, die nahm er wahr. In ihr, nicht im freundlichen Licht und den blühenden Blumen, spiegelte sich seine Stimmung wider und das Ziel, zu dem hin er unterwegs war.
Am Dorfausgang bog die gepflasterte Landstraße nach Osten ins Neckartal ab. Von dort kamen ihnen Leute entgegen; abgerissenes, elendes Volk, wie der Rittmeister schon von weitem sah. Flüchtlinge vermutlich. Sie führten Viehzeug mit sich und nicht einmal wenig. Maximilian erkannte einen großen Hund, einen Esel, eine Kuh und zwei Schafe. Der Himmel mochte wissen, wie diese Flüchtlinge ihre Tiere durch den Krieg gerettet hatten.
Ängstlich drängten die Leute sich an eine Gartenmauer, als von Herzenburg und seine Arkebusiere an ihnen vorbeiritten. Hätten sie die Reiter rechtzeitig entdeckt, hätten sie sich wohl in den Ruinen oder in den Obsthängen versteckt. Ein Mann an der Spitze der Wanderer und ein Halbwüchsiger neben ihm gingen mit erhobenem Haupt, blickten von Herzenburg und von Torgau frei in die Gesichter, zogen auch Hut und Kappe und riefen einen Gruß.Die anderen schlichen ängstlich und mit gesenkten Köpfen vorüber. Dürr und hohlwangig sahen sie aus, halb verhungert.
Sechs Erwachsene mit gut zehn Kindern, wenn von Herzenburg richtig gezählt hatte. Auch eine uralte Frau hatten sie dabei, die saß halb vergraben unter Kleiderbündeln und Hausrat auf einem Leiterwagen. Den zog der Esel über das Kopfsteinpflaster. Unter dem grauen Fell traten die Eselsrippen hervor wie die Querspanten eines gestrandeten Schiffes. Dennoch schleppte er Taschen und Kleider, genau wie das Rind. Das kleinste Kind ritt auf dem Hund, die Frau und ein zweites Kind auf den Schafen.
»Stolzes Pack!« Mathis drehte sich nach dem Mann und dem Halbwüchsigen an der Spitze der Kolonne um. Er ärgerte sich wohl über den freimütigen Gruß. »Seine Kuh allerdings steht gut im Futter. Ein Fehler wäre es sicher nicht, sie mit nach Heidelberg zu nehmen.« Maximilian spürte seinen erwartungsvollen Blick von der Seite, erwiderte aber kein Wort.
Sie sprachen nur noch das Nötigste seit ihrem Zusammenstoß in Mannheim im letzten Herbst. Von Torgaus Verletzung war verheilt, und er konnte wieder die Fahne tragen; doch beiden hatte der kurze Kampf auf dem Wehrgang die Beförderung gekostet.
Der Rittmeister ließ die letzten Hungergestalten hinter sich, und vor seinem Blick öffnete sich nun das Neckartal. Auf der anderen Seite des Flusses sah er die Dächer und Türme Heidelbergs, darüber den Trutzkaiser, den er ein halbes Jahr zuvor erobert hatte, und weiter im Osten, im Hang des Königsstuhls, das viel gerühmte Schloss. Ein Anblick, der anderen Reisenden einen Ausruf des Entzückens entlockt hätte – dem Rittmeister verdüsterte er das Gemüt nur noch mehr, und die Unruhe, die ihn seit Wochen umtrieb, engte ihm nun zunehmend die Brust ein. Schon seit längerem zerrte sie an seinen Gliedern und Nerven, raubte ihm Appetit und Schlaf, zerwühlte und bedrückte seinen Geist. Manchmal brannte diese Unruhe ihm in der Brust wie die Gewissheit eines bevorstehenden Verhängnisses.
Der Herr Graf wartete im Heidelberger Schloss auf ihn.
Auch Maria wohnte ihm Schloss,
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