Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
Reichstaler. Viel wichtiger jedoch: Sie sollten dort vor einer Menge Adel und Herrschaft spielen, und die Prinzessin von Bernstadt hatte prophezeit, dass einige dieser Edelleute die englischen Komödianten an ihre Höfe einladen würden; geschworen hatte sie es sogar.
Hustend ließ Greenley den Degen und sich selbst in seinen Stuhl fallen. David sah ihm die Erschöpfung an. Er setzte sich auf die Ladefläche und lehnte gegen das Bohnenfass. Nach drei Stunden Gestikulieren, Vorsprechen und Grimassenschneiden stand auch ihm der Schweiß auf der Stirn.
»Du musst ruhen, Christopher!«, sagte Aaron vom Kutschbock aus. Er drehte sich um und musterte den bleichen Prinzipal mit tadelndem Blick. »Hörst du, was ich dir sage? Du ruinierst deine Gesundheit noch vollständig, wenn du hier stundenlang probst, statt zu ruhen!«
»Ich weiß schon selbst, was meiner Gesundheit guttut.« In Aarons Richtung winkte Greenley ab, in Davids lächelte er. »Die verlangt nach Spiel und schönen Versen – damit habe ich schon manche Erkältung kuriert.«
David strahlte seinen Prinzipal an. Dessen Vertrauen und Zuneigung machte ihn glücklich. Und beflügelte ihn: Alles, was Christopher Greenley konnte und wusste, wollte er von ihm lernen; und dazu war er bereit, bis an die Grenzen seiner Kraft zu gehen.
Auf dem Markt in Bayreuth hatte er sich ein Buch gekauft, ähnlich dem, was Susanna für ihre Aufzeichnungen und Schnittmuster benutzte; in das schrieb er seitdem die Stücke der Komödianten hinein, seine Gedanken dazu und beinahe jedes Wort, das er aus Greenleys Mund hörte. Die meisten Tragödien und Komödien der Engländer kannte David inzwischen auswendig. Die Auftritte des Pickelherings mit seinen wortgewandten Reden und seinen atemberaubenden Grimassen hatte er besonders ausführlich notiert.
»Was genau ist ein Pickelhering?«, fragte David.
»Ein Lustigmacher.« Aaron antwortete an Greenleys Stelle. »Jede Compagnie braucht einen. Der Pickelhering ist unsere wichtigste Figur, und nur der Beste darf ihn spielen.«
»Sicher, doch warum dieser seltsame Name? Wieso heißt einer, der dem Jean Potage doch gar nicht so unähnlich ist, nach einem Fisch mit Pickeln?«
Greenley lachte. »Das mag an dem Mann liegen, auf dessen Schultern wir stehen, an Will Kemp. Ein fantastischer Clown! Von ihm lernte schon mein verehrter Lehrer Thomas Sackville seine Kunst.«
»Jean Potage dem Pickelhering nicht unähnlich?« Aaron auf dem Kutschbock protestierte. »Wie kommst du nur auf solch einen Schwachsinn! Dein Jean Potage ist für Blödeleien und dumpfe Hanswurstiaden bekannt, der Pickelhering hingegenähnelt eher dem Harlekin in seinem klugen Wortwitz und seiner pantomimischen Kunst!«
David wollte aufbegehren, doch Greenley hob beschwichtigend die Hände. »Gemach, Aaron! Ganz so kann man das nicht sagen. Davids Jean Potage konnte mehr als nur Zoten reißen und lustig stolpern, und manche spielen auch den Pickelhering nahe am blöden Fresser, Säufer und Lustmolch …«
»Viel zu nahe!«, rief wieder Aaron dazwischen.
»… andererseits war Will Kemp ein Mann des Volkes und nicht des Adels! Unser hochverehrter Lehrer stammte von der englischen Ostküste, wo die Fischer vom Heringsfang leben und wo man den Hering in Fässern einsalzt, um ihn haltbar zu machen …«
»›Pökeln‹ nennt ihr Deutschen das«, warf Aaron ein, »wir nennen es to pickle . Das hat mit Pickeln nichts zu tun, Jean Potage.«
»Ich bin kein Deutscher«, beschied ihm David knapp, »und mein Name lautet David Villacher.«
»Hätten wir das also auch geklärt.« Greenley verdrehte die Augen und seufzte. »Wie der Salzhering gehört auch der Pickelhering zum einfachen Volk. Ja, ich will noch weiter gehen: Im Volksmund hat der Heringsschwarm einen König, und der Pickelhering ist der König der einfachen Leute. Er erklärt ihnen die Welt, er durchschaut für sie die verlogenen Verhältnisse, er stellt gern die gewöhnliche und böse Ordnung auf den Kopf, unter der die einfachen Leute leiden, damit sie einmal darüber lachen können …«
»Und manchmal frisst er zu viel Salzhering und muss daher Unmengen saufen, um seinen Durst zu löschen.« Aaron drehte sich um und lachte Greenley halb spöttisch, halb tadelnd ins Gesicht. »Wie der große Mr. Shakespeare infolge unmäßigen Heringsgenusses unmäßig viel Bier trinken musste, der Ärmste, und folglich viel zu früh starb! Und wie unser Alter Komödiant hier viel zu viel …«
»Böse Gerüchte!« Mit einem
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