Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
Er fühlte sich nicht wie ihr Bräutigam, er fühlte sich wie ihr zufälliger Gastgeber.
Sie wollte die Bibliothek sehen, dann die Küche, dann das Musikzimmer, dann den Weinkeller und schließlich den Turm. Von seiner Spitze aus erklärte Maximilian ihr das gesamte Anwesen und nannte ihr die Namen der Weiler und Bauernhöfe der Grafschaft, soweit man sie sehen konnte. Das Schlafgemach, in dem sie mit Maximilian die Hochzeitsnacht verbringen würde, wollte sie nicht sehen. Dafür den kleinen Burghof. Maximilian führte sie hinunter.
Sie blickte ins Herbstlaub der Linde, und der Rittmeister erfuhr, dass im Schlossgarten von Coburg zehn Bäume dieser Sorte standen, nur größer. Und dann fiel ihr Blick auf den Rundturm und auf die beiden Grabsteine an seiner Mauer. »Iiih, Gräber!« Halb erschreckt, halb angewidert verzog sie das Gesicht, und der gesamte Mädchenschwarm stellte das Kichern ein und gab sich entsetzt. »Die müssen weg!«, rief die Braut. »Ich will keine Gräber in meiner Nähe!«
»Dann solltet Ihr diesen Ort meiden, Prinzessin!« Maximilianlächelte sein kältestes Lächeln und deutete eine Verbeugung an. Lieber hätte er ihr ins Gesicht geschlagen. »Und nun entschuldigt mich – ich höre gerade, dass die Herren von der Jagd zurückkehren.«
Die Rechte um den Degenknauf, die Linke in der Rocktasche geballt, stapfte Maximilian unter der Lindenkrone und dem Torbogen hindurch in den vorderen Burghof. War es denn wirklich seine Hochzeit, die bevorstand?
Der Herr Graf, von Bernstadt, sein künftiger Schwiegervater und seine künftigen Schwäger galoppierten eben durch das Burgtor. Hunde jagten kläffend neben ihnen her. Später brachten die Jäger den Karren mit einem Rehbock, drei Fasanen und zwei Hasen.
Maximilian hielt sich fern von seinem Vater und dem Generalwachtmeister und plauderte mit den männlichen Vertretern der zukünftigen Verwandtschaft. Man sprach über die Jagd, den Krieg und das Würfelspiel und beschloss, sich Letzterem nach dem Essen hinzugeben.
Zur Mahlzeit traf man sich am frühen Abend. Etwa vierzig Personen versammelten sich um die Tafel des kleinen Rittersaals; nur engste Verwandtschaft war bislang auf der Herzenburg eingetroffen, das Gros der Hochzeitsgäste hatte sich für den Vormittag des folgenden Tages angekündigt.
Das Essen verlief, wie Gastmähler dieser Art nun einmal zu verlaufen pflegten: laut und weinselig. Seine Braut saß neben Maximilian und zählte ihm erst ihre Lieblingsspeisen, dann die Namen ihrer Lieblingspferde, schließlich die Namen ihrer besten Coburger Freundinnen auf. Sie war überhaupt nicht schüchtern, leider. Dafür schmatzte sie, und wie die meisten an der Tafel wischte sie sich die Finger am Tischtuch ab, und zwar nach jeder Karotte, die sie sich in den Mund steckte und nach jedem Stück Fleisch, das sie mit gespreizten Fingern aus dem Hühnerschenkel löste.
Einer ihrer jüngeren Brüder zielte mit abgenagten Knochennach dem offenen Fenster; zwei ihrer halbwüchsigen Cousins spuckten Olivenkerne in die Weinkelche ihres herzoglichen Hauslehrers, eines jungen Dichters; ihr Patenonkel, ein Pfalzgraf, schlief ein und musste gestützt werden, damit er nicht vom Stuhl fiel. Der Brautvater griff einer Kammerzofe an die Brust, worauf die Brautmutter ihn eine geile Wildsau schimpfte, worauf wiederum er ihr eine Maulschelle verpasste; und von Bernstadt soff den Wein literweise und lachte immer lauter über die immer schlüpfrigeren Witze des Herrn Grafen.
Das Übliche eben.
Als am Schluss eine Süßspeise aufgetragen wurde, entfaltete der Herr Graf den Theaterzettel, auf dem Maria ihm die Stücke aufgelistet hatte, die in den kommenden Tagen von den englischen Komödianten gespielt werden sollten. Der Zettel machte die Runde.
Die biblische Geschichte von der keuschen Susanna war durchgestrichen, und jemand hatte darüber in säuberlicher Schrift Von der Ehebrecherin geschrieben. Der Herr Graf selbst, wie sich herausstellte. Maria erhob lautstarken und sehr energischen Einspruch, der Herr Graf lehnte den jedoch mit einem Faustschlag auf den Tisch und einem herausgebrüllten Nein! ab. »Die Änderung bleibt!«, polterte er mit schwerer Zunge. »Habe ich sie doch auf den ausdrücklichen Wunsch meines verehrten Freundes und Kameraden, des Generalwachtmeisters Prinz von Bernstadt vorgenommen, Ihres Mannes, Madame!«
Maria verstummte und wurde auffallend bleich. Maximilian sehnte sich nach der Einsamkeit seiner Schlafkammer.
Nach dem Essen befahl
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