Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
Gefallenen Dänen waren – brachten an sich, was sie brauchen oder zu Geld machen konnten: Kleider, Stiefel, Schmuck, Waffen, persönliche Habseligkeiten.
Da und dort wies Maximilian von Herzenburg ein paar Frauenzurecht, die sich auch an den Gefallenen der kaiserlichen und bayrischen Armee vergreifen wollten. Jedes Mal, wenn er einen der eigenen Männer fand, winkte er die Gefreiten herbei, die mit einem Pferdekarren unterwegs waren, um sie einzusammeln. Auf den abgemähten Kornfeldern zwischen Wald und Hügel lagen mehr eigene Soldaten als anderswo. Die Kompanien von Bernstadts und des Herrn Grafen waren hier in den Kugelhagel der dänischen Geschützbatterien geritten.
Maximilian hatte die Kanonenstellungen angegriffen, gewiss, mit allem, was ihm zur Verfügung stand – sechs Kompanien immerhin. Im Versuch, einem Gegenstoß dänischer Dragoner auszuweichen und die Batterien von der südlichen Flanke zu nehmen, waren seine Reiter in einen Sumpf geraten.
Wie ein verhängnisvolles Missgeschick hatte das ausgesehen. In Wahrheit hatte Maximilian von dem Sumpf gewusst – bei seinem nächtlichen Ausflug ins Lager der dänischen Nachhut hatte man ihm das Gelände ganz genau erklärt.
Mehr als fünfhundert Reiter blieben im Sumpf stecken. Die dänischen Musketiere und Dragoner schossen auf alles, was sich bewegte. Nur auf die Männer um die Hirschstandarte nicht. An die und an seinen Cornet hielt Maximilian von Herzenburg sich – so hatte er es mit dem dänischen Obristen von Mosbach vereinbart – und entkam mit gerade einmal achtzig Reitern.
Zwei Pferdejungen aus dem Tross winkten von weitem. Maximilian ging zu ihnen. Sie deuteten stumm auf einen Leichnam neben einem Pferd. Das Pferd erkannte Maximilian sofort, den Prinzen und Generalwachtmeister von Bernstadt erst auf den zweiten Blick.
Die Hufe über ihn hinwegpreschender Gäule hatten ihm Gesicht und Brust zertreten. Irgendjemand war schon bei ihm gewesen – und hatte sich mit seinen Stiefeln, Waffen, seinem Harnisch, Koller und Mantel wieder davongemacht. Fliegen summten über dem, was einmal sein Gesicht gewesen war. In seiner fahlgrauenFaust hing ein von Blut und Dreck beflecktes Spitzentuch. Maximilian las den roten Namenszug – MARIA – und wandte sich ab.
Er winkte einigen Gefreiten, die mit einem Pferdewagen das Schlachtfeld abfuhren und tote und verwundete Offiziere einsammelten.
Kein Offizier außer Maximilian zeigte sich gegen Abend noch auf dem Schlachtfeld. Dass er es suchend abschritt, wunderte dennoch niemanden. Jeder wusste, dass sein Vater nach der Schlacht noch nicht lebend gesehen worden war. Nur das Pferd des Herrn Grafen hatte man entdeckt. Unverletzt.
Maximilian fand ihn in der ersten Abenddämmerung zwischen Brombeeren- und Haselnusssträuchern am Rand eines Feldweges, gar nicht weit entfernt vom Wald. Er lag in einer Menge geronnen Blutes, atmete flach und schnell und starrte zu den schwarzen Brombeeren hinauf. Einige hingen durchaus in seiner Reichweite, doch er konnte nicht danach greifen: Der linke Arm fehlte ihm, und die rechte Hand hing blutverkrustet und seltsam verkrümmt in der blutigen Manschette.
Maximilian blieb vor ihm stehen und blickte auf ihn hinab. Das Gesicht seines Vaters sah grau aus, die Lippen violett. Große Schweißperlen glänzten auf seiner Haut. Hildegard hatte ähnlich ausgesehen, kurz bevor sie starb. Der wüste Herr Graf hatte sie nicht nur geschlagen, sondern ihr auch in den Bauch getreten damals, sodass ihr in ihrer letzten Stunde das Blut aus allen Körperöffnungen sickerte.
Der Herr Graf drehte die Augäpfel ein wenig zur Seite, blinzelte Maximilians Stiefel an, sah dann zu ihm herauf. »Durst«, krächzte er. Maximilian betrachtete ihn ohne jede Rührung. Er empfand nur ein wenig Enttäuschung: Er hatte sich mehr Genuss vom Anblick seines sterbenden oder toten Vaters erhofft, mehr Befriedigung. »Ich habe Durst«, krächzte der schwer Verwundete. »Solchen Durst …«
»Am besten, Ihr gewöhnt Euch daran«, sagte Maximilian mithohler Stimme. »In der Hölle gibt es kein Wasser. Nur Feuer.« Er öffnete seine Feldflasche, setzte sie an die Lippen und trank.
Die feuchten, trüben Augen des Herrn Grafen zuckten hin und her. »Gib mir zu trinken, mein Sohn«, flüsterte er. »Ich flehe dich an …, ich verdurste sonst …«
Maximilian verschloss seine Feldflasche. »Denkt an Hildegard und ihr Flehen, Herr Vater. Das mag Euch ein wenig trösten.«
Er hängte die verschlossene Flasche ans
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