Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
sämtlicher Lehen an den Kaiser, Verstoßung aus dem Reichsgrafenstand und Tod durch das Schwert.
Einer seiner Gefährten lag schon unter dem Tisch und schlief, der andere wankte zur Tür und auf den Gang hinaus. Kurz darauf hörte man es auf der Treppe mächtig poltern. Aaron und Piet liefen hinaus und kamen lange nicht zurück. Greenley und die anderen Komödianten redeten sich die Köpfe heiß, machten Notizen und überlegten, wie man eine solche Geschichte als Tragödie auf die Bühne stellen könnte.
»Er hat übrigens nach Euch gefragt«, sagte Hacker irgendwann zu Susanna. Seine Augen waren klein und rot, sein Schwäbisch klang schon reichlich verwaschen.
»Wer?«
»Na, der Leutnant, der den Verräter entlarvte. Allerdings schon ein Weilchen her, vor drei Jahren bei Stadtlohn, wenn ich mich recht entsinne. Ist er mit Euch verwandt?«
Susanna begriff gar nichts. »Ich weiß nicht wovon Ihr sprecht, Leutnant Hacker.«
»Ihr seid doch die Tochter des Schneidermeisters Fritz Almut aus Handschuhsheim.« Susanna bejahte. »Na also! Euch hat er gesucht! Eine Hure brachte ihn zu mir – ganz begierig war er, alles über Euch zu erfahren: Wo ich Euch gesehen habe, wohin die Gaukler mit Euch gezogen seien. Er bedrängte mich mit Fragen, als hinge sein Leben davon ab.«
»Wie sah er aus?«
Hacker dachte nach. »Kahl geschoren, blonde Bartstoppeln, sehr blaue Augen. Höchstens fünfundzwanzig Jahre alt.«
»Wie hieß er?« Susannas Herz klopfte schneller, ihr Mund war ganz trocken auf einmal.
»Martin, meine ich.« Er verdrehte die rotgeränderten Augen und blinzelte zur Decke. »Ja, die Hure nannte ihn Martin.«
Die Enttäuschung presste ihr die Brust zusammen. »Ich habe einen Cousin in Heidelberg, Martin Weber. Doch der war 1623 erst siebzehn Jahre alt.«
Hacker zuckte mit den Schultern. »Und gefunden hat er euch auch nicht. Hab ihm gesagt, er soll auf den Märkten der Städte nach Greenley und seinen Komödianten fragen. Weil der David doch damals schon nach den Engländern suchte.« Er winkte ab. »Na, wenigstens hat er den Verräter gefunden.«
Ein Weilchen blieb Susanna noch sitzen, hörte den Komödianten beim Dichten zu, hörte den Berauschten unter dem Tisch schnarchen, hörte, wie Charly und Aaron zurückkamen und dem Hacker erklärten, dass sein Gefährte sich ein Bein gebrochen habe beim Treppensturz und sie unmöglich schon morgen aufbrechen könnten.
Sie dachte an Hackers Bericht und die Beschreibung des Mannes, der angeblich nach ihr gesucht hatte. Um diese Zeit war sie mit Stephan und den Gauklern im Fränkischen unterwegs gewesen. Eine Traurigkeit, die ihr das Atmen schwer machte, bedrückte sie plötzlich. Wie schlimmer Kopfschmerz hatte die Erinnerung an Hannes sie überfallen. Weil der Junge in ihrem Arm eingeschlafen war, stand sie auf, um ihn zu Bett zu bringen. Die Katze huschte ihr hinterher.
»Wartet, schöne Frau …« Hacker winkte, konnte sich kaum noch auf dem Stuhl halten. Susanna ging zu ihm. »Martin – so hat die Hure den Kahlkopf nur zum Schein genannt, fällt mir ein …, heute hat der Leutnant übrigens wieder blondes Haar.« Susanna nickte, wusste nicht, worauf Hacker hinauswollte. Der griff nach seinem Becher und leerte ihn. »Sie hat ihn als ihren Schwager ausgegeben, weiß nicht, warum … Später nannte sie einmal versehentlich seinen richtigen Namen: Hannes.« Er rülpste. »Der Leutnant heißt Stein. Nichts da Martin Weber also, Hannes Stein …«
*
Wie so oft schon, wollte sie es auch heute Abend im Sitzen tun. Also drückte sie ihn in den Sessel und stieg auf seinen Schoß. Diesmal brachte er sie dazu, sich umzudrehen und ihm den Rücken zuzuwenden. Das war neu, und sie genoss es sehr. Und David auch.
Im Waschtischspiegel auf der anderen Seite des Raumes sah er ihr Gesicht, während sie auf ihm ritt. Sie hatte die Augen geschlossen und guckte so gequält, als würde ein großer Schmerz sie zerwühlen, ein Schmerz, den keiner stillen konnte. Er hielt sie an den Hüften fest, sah ganz genau hin, sah ihre Brüste hüpfen, sah den Schmerz in ihren Zügen. Danach, als sie gegen ihn lehnte und er sie festhielt und küsste, lächelte sie wie ein sattes Kind.
Nicht lang, dann stand sie auf, ging zum Waschtisch und zog die spanische Wand zwischen sich und David. Dahinter hantierte sie wie immer mit einer Kanne und einem Schlauch. David hörte Wasser ins Nachtgeschirr plätschern. Anschließend – auch das wusste er inzwischen – öffnete sie ein Fläschchen,
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