Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
flüsterte die Frau des Pfarrherrn; noch immer kniete sie neben ihm auf den Holzdielen. »Hat nicht so unser Heiland geboten?«
»Wenn Ihr Gott liebt, müsst Ihr hassen, was die Spanier im Land anrichten«, rief der Pfarrherr. »Wenn Ihr Gott liebt, müsst Ihr Euern Reitern Einhalt gebieten …«
Ein Stoß, ein Schritt – die Frau stürzte hin, und der Rittmeister schlug den Pfarrherrn mit dem Handrücken ins Gesicht. »Nichts muss ich, gar nichts!« Weil der Cornet zurückgewichen war, taumelte der Alte von der Wucht des Schlages über die Türschwelle, stolperte nach draußen und fiel auf den Weg.
Der Rittmeister fuhr herum, weil er das Mädchen jammern hörte: Sein Bursche Conrad zerrte es aus der Stube, die heulende Kinderschar versuchte, es an Armen, Beinen und Kleidersaum festzuhalten.
Konnte das denn wahr sein? Noch nie hatte von Herzenburg dergleichen gesehen, seit er mit Degen und Radschlosskarabiner seine Taler verdiente. Und wahrhaftig: Ihm waren schon die tollsten Kriegsgeschichten unter die Augen gekommen im letzten Jahr – in Böhmen, in der Oberpfalz und zuletzt drüben, auf der anderen Seite des Rheins.
Er stürzte zu seinem Burschen, packte ihn und riss ihn weg von der Halbwüchsigen. »Wie heißt du?«, fragte er sie.
»Eva«, flüsterte sie. Fünfzehn mochte sie sein, vielleicht erst vierzehn. Von Herzenburg hörte den Namen und sah im Geist ein nur wenig älteres Mädchen vor sich; eins, das Hildegard geheißen hatte.
Auch Hildegard hatte schwarzes Haar gehabt, dunkelblaue Augen und einen ähnlich stolzen Zug um den Mund. Seine Schwester. Jetzt lag sie neben seiner Mutter zu Hause unter der Linde im hinteren Burghof, und Dahlien blühten zu dieser Jahreszeit über ihr. Blutrot.
»Simon!« Er lief zur offenen Tür auf der anderen Seite des Ganges. »Simon, Herrgott noch mal!« Ein Raum mit guten Möbeln, Bildern an der Wand, mit vollen Bücherborden und einem Kamin. In dem kniete der ältere seiner beiden Burschen und tastete im Rauchabzug nach versteckten Dukaten. »Her mit Ihm!« Der Gerufene sprang auf, wischte die Hände an der Hose ab und kam zu ihm. »Er bringe sie weg.« Er deutete auf die Halbwüchsige. »Auf den Friedhof von mir aus. Und keiner rührt sie an. Mein Befehl!«
Er drehte sich nach Conrad um. »Und Er bürgt mir mit Seinem Leben für ihr Leben und ihre Unschuld. Hat Er das verstanden?« Der Bursche nickte. »Und die Blagen hier jagt aus dem Haus.«
»Bitte nicht, Herr!« Das Mädchen rang die Hände, fast hätte es vor ihm gekniet. »Lasst die Kleinen doch bei mir bleiben!« Sie sah ihm in die Augen. Wie konnte jemand Angst empfinden und betteln und dennoch diesen stolzen Zug um den Mund bewahren? Der Rittmeister presste die Lippen aufeinander. »Bitte«, flehte sie, und wohl zwanzig Kinderaugenpaare hefteten sich an ihn. Hinter dem Haus kläffte der Hund. Kläffte und kläffte.
»Was hattet ihr da drinnen zu treiben?« Mit einer Kopfbewegung deutete von Herzenburg in die Stube, wo sie gesungen hatten. »Und was tun all die Blagen hier?«
»Der Herr Pfarrer hat uns Unterricht in der Heiligen Schrift erteilt.« Das Mädchen schluckte, die Blicke seiner dunkelblauen Augen fühlte von Herzenburg wie forschend über sein Gesicht wandern. »Und die Frau Pfarrer hat ein Danklied mit uns gesungen.«
»Ein Danklied?« Er zog die Brauen hoch. »Wahrhaftig?«
»Weil wir leben dürfen und danach in den Himmel kommen.«
Der Rittmeister nickte langsam. Er erinnerte sich, dass auch zu Hause nach dem Sonntagsgottesdienst der Bibelunterricht für die Kinder im Pfarrhaus gefolgt war. Und wie gut er sich daran erinnerte: Maximilian von Herzenburgs Vater, der düstere Herr Graf, hatte ihn und seine Schwester oft genug hingeprügelt.
Er wandte sich an seine Burschen und den Cornet. »Sie bekommt, was sie erbittet. Und Schläge für jeden, der meinen Befehl vergisst.« Sein strenger Blick traf Conrad.
Die Burschen führten Kinder und Halbwüchsige zur Hintertür und in den Hof. Von dort ging es über den Friedhof zur Kirche. Der Hund bellte noch lauter, bellte wie von Sinnen. Bis ein Schuss krachte; danach bellte nichts mehr.
Der Rittmeister aber trat auf den Weg hinaus, wo sein Cornet den Pfarrherrn und seine Frau mit Schlägen und Tritten drangsalierte. »Ihr wollt Edle sein?«, rief der Alte. »Ihr wollt Christenmenschen sein? Teufel seid ihr, gierige Teufel!«
Wahrhaftig, er war wütend! Statt sich zu fürchten, schäumte er vor Wut. Maximilians Kinn zuckte nach oben.
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