Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
losgefahren waren; nicht mit ihr, sondern mit der Mutter.
Die hockte neben ihm, gab sich einsilbig, nickte nur dann und wann und spähte manchmal über die Schulter nach hinten zu Susanna und dem Gesellen. Ihr knochiges Gesicht war noch härter geworden in letzter Zeit, und der bittere Zug um den Mund hatte sich noch tiefer eingegraben. Lag es an den Kriegsgerüchten? Oder am Kummer, den Susanna ihr bereitete? Oder einfach nur an ihrem faulen Zahn?
Auf dem hinteren Wagen, dem Ochsenkarren, hatten sie Säcke mit Rüben und dem ersten Färberginster geladen, dazu Käfige mit ein paar Legehennen und zwei Ferkeln für die Familien von Mutters Schwestern. Auf dem Kutschbock palaverte der Großvater mit Anna, dem Lehrbub und dem jüngeren der beiden Gesellen.
Mit Susanna sprach keiner, schon seit Tagen nicht mehr. Nicht einmal ihre Schwester. Der Vater ging ihr aus dem Weg, wenn er konnte, und bei Tisch wich er ihren Blicken aus. Wie eine Aussätzige kam Susanna sich vor; wie eine, die schwere Schuld auf sich geladen hatte.
Angefangen hatte das genau besehen während der Zwetschgenernte im vergangenen Jahr. Ob Susanna es sich überlegt habe mit der Hochzeit und dem Gesellen, hatte der Vater wissen wollen. Susannas Antwort: »Ich will ihn nicht, ich lieb den Hannes.«
Kopfschüttelnd hatte Meister Almut seine Tochter von der Leiter herab beäugt. »Siebzehn bist du. Was weißt du von Liebe?« Und dann: »Bis zur Kirschernte im nächsten Jahr gebe ich dir noch einmal Zeit.«
Zum Nachdenken? Sich mit dem Gesellen abzufinden? Hannes den Abschiedsbrief zu schreiben? Der Vater wurde nicht deutlicher, und eigentlich war es Susanna auch gleichgültig, was genau er von ihr erwartete. Als er vorige Woche während der Kirschernte erklärte, sie sei jetzt achtzehn und die Zeit reif, das Aufgebot für ihre Hochzeit zu bestellen, und er könne den Gesellen nicht länger vertrösten, antwortete sie das Gleiche wie im Herbst zuvor: »Ich will ihn nicht, ich lieb den Hannes.«
Schon seit der Zwetschgenernte im vergangenen Jahr schien es Susanna, als würde der Vater sich ihr gegenüber verschlossener zeigen, kühler als zuvor. Seit dem knappen Gespräch im Kirschgarten gab er sich kaum noch Mühe, seinen Unwillen zu verbergen. Jeder konnte sehen, dass er böse auf sie war, und merkwürdigerweise waren deswegen auch alle anderen böse auf sie. »Weil sie mit ihrem Starrsinn und ihrem Ungehorsam den Haussegen vergiftet«, wie Susanna ihre Mutter hinter der Schlafkammertür hatte schimpfen hören.
Auf dem Ochsenkarren bestürmte das Jungvolk den alten Meister Merkel mit Fragen: Würden die Spanier auf der anderen Rheinseite es tatsächlich wagen, das stark befestigte Frankenthal mit seiner englischen Besatzung anzugreifen? Oder gar die neue Festung Mannheim, die doch ebenfalls von englischen und holländischen Soldaten verteidigt wurde? Und ob der Großvater dasschlimme Gerücht glaube, wonach man in Prag auf des Kaisers Befehl an die dreißig böhmische Edelmänner hatte hinrichten lassen, weil sie den Kurfürsten Friedrich zum König gemacht hatten? Und wo wohl der Kurfürst steckte in diesen schweren Zeiten?
Wegen des Geratters der Wagenräder konnte Susanna nicht alles verstehen, doch das meiste schon. Der junge Geselle zum Beispiel wollte vom Großvater wissen, warum denn die Union der protestantischen Landesherren sich aufgelöst habe und ob die Reichsacht, die der Kaiser in Wien wegen Landfriedensbruch über den Kurfürsten Friedrich verhängt hatte, dessen ganzes Leben lang gelte.
Der Lehrbub fragte nach den Kriegsereignissen fern in Böhmen und der Oberpfalz, wo, glaubte man den neusten Gerüchten, der Graf Mansfeld, ein Verbündeter des Kurfürsten, sich anschickte, den General Tilly und seine Truppen anzugreifen. Und Anna fragte mit ängstlicher Stimme, warum denn Bürger aus Heidelberg flohen, wo doch der König Jakob von England ein derart starkes englisches Kommando nach Heidelberg und auf das Schloss seines Schwiegersohns geschickt hatte.
Der Großvater auf dem hinteren Wagen antwortete den Jungen nicht viel: »Wir werden sehen«, sagte er nur oder »warten wir’s ab« oder »der Herr im Himmel wird’s wissen.«
Inzwischen sah man die überdachte Neckarbrücke in voller Länge, und rasch rückte sie näher. Im Berghang über der Stadt glänzten die blaugrünen Turmdächer des Schlosses in der Nachmittagssonne. Ein Frachtkahn dümpelte am anderen Ufer zwischen den Türmen des Zeughausgemäuers. Nicht weit dahinter,
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