Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
Arme fehlten schon jetzt an allen Ecken und Enden.
Die Breisacher hielten es mit Kaiser und Papst, weshalb der Heidelberger Offizier und seine drei Soldaten wohl selbst in Ketten und Kerker gelandet wären, hätten sie den Festungskommandanten oder auch nur ein Ratsmitglied von Breisach in die Angelegenheit einzuweihen versucht. Immerhin befehligte der Heidelberger Offizier die Schlosswache des protestantischen Kurfürsten der Pfalz, des geächteten Königs von Böhmen, des größten Feindes des Kaisers. So gesehen musste die Gefangennahme und Verschleppung Rübelraps schon fast als tollkühnes Schurkenstück gelten.
Andererseits konnte Stephan daraus keinerlei Kapital schlagen. Im Gegenteil: Die Gaukler mussten sich hüten, den Festungskommandanten oder den Rat um Hilfe zu bitten. Schließlich hatte Rübelrap an jenem Tag auch etliche Breisacher bestohlen.
Doch wieder einmal ging die Sache glimpflich aus, und keiner hielt die Gaukler auf, nicht einmal die Torwachen; die waren betrunken und schliefen zur Hälfte. Die Sonne berührte gerade den Horizont, als das Westtor von Breisach sich hinter der kleinen Wagenkolonne schloss. Sie fuhren in die Dämmerung hinein, und die Stimmung auf den Wagen entsprach ganz der zunehmenden Dunkelheit.
Rübelraps Wagen hatten sie hinter Davids gebunden und seine Tiere mit Davids zusammengespannt. Manchmal hörte David hinter sich die Zwergin heulen, und jedes Mal schnürte es ihm das Herz zusammen.
Stephan lenkte die Gespanne nicht nach Straßburg, denn was, wenn die Breisacher ihre Häscher dorthin schickten? Viele Spielleute pflegten von Breisach aus nach Freiburg oder Straßburg zu ziehen. Außerdem hatte ihm ein Zahnkranker auf der Bühne erzählt, dass ein wildes Kriegsvolk unter dem Grafen Mansfeld das Elsaß bis nach Straßburg hinunter verwüstete.
Am Südrand des Kaiserstuhls entlang führte Stephan Unterkofler seine Gaukler also auf einem Nebenweg, nicht nach Norden, sondern direkt nach Westen. So schnell wie möglich nach Paris, so lautete jetzt seine Parole.
Kurz bevor das allerletzte Tageslicht erlosch, rasteten sie auf einer Weide zwischen einem Eichenwäldchen und einem Teich. Das Nachtmahl, eine Suppe aus altem Brot, Hühnerfleisch und Kohl, bereiteten sie sich auf einem kleinen Feuer. David und Stephan würgten stumm ihre Suppe herunter und vermieden es, einander in die Augen zu sehen, während Marianne unentwegt plapperte. Die Zwergin dagegen rührte keinen Bissen an und heulte nur die ganze Zeit. Manchmal stellte David seine Schüssel weg, langte zu ihr hinüber und versuchte, ihren großen Kopf zu streicheln. Doch jedes Mal wich sie seiner Hand aus.
Irgendwann platzte Stephan der Kragen, und er begann, Rübelrap zu verfluchen und zu beschimpfen. Selber schuld sei er, und seit der Magistrat von Köln sie der Stadt verwiesen hatte, habe er dem Bauchredner wieder und wieder verboten, den Leuten in die Taschen zu greifen.
»Ich lach gleich«, sagte Marianne und lachte; richtig froh allerdings klang das nicht.
Jeder habe sich über seine Beute gefreut, schluchzte die Zwergin, den Erlös habe Stephan in teure Kostüme und neue Pferde gesteckt, und Marianne habe ihrem armen Großen sogar befohlen, zu stehlen, ja, befohlen! Rübelrap habe es ihr doch selbst erzählt!
»Daran erinnere ich mich nicht!«, behauptete die Landgräfin schroff. »Was redest du denn da, Lauretta?« Marianne zuckte mit den Schultern, legte den Kopf in den Nacken und reckte das Kinn vor. »Genug geschwätzt! Jeder von uns beherrscht nun einmal seine eigene Kunst, und der Goliath beherrschte die Seine wohl nicht gut genug. Und sagt man nicht, das Leben sei ein Spiel? Rübelrap hat schlecht gespielt und verloren.«
Die Zwergin kreischte auf, griff mit den Zehen nach Steinen und Ästen und schleuderte sie über das Feuer hinweg gegen die Landgräfin. Die zeterte und fluchte, fuhr hoch und machte Anstalten, die Zwergin zu schlagen. Stephan und David gingen dazwischen. Nur mit Mühe konnten sie die tretende Lauretta und die prügelnde Marianne trennen.
»Wir haben alle verloren!«, rief David. »Wir alle wussten doch, was Rübelrap tat. Und haben wir die Dukaten aus dem Verkauf seines Raubzeugs nicht alle gern in unserer Schatulle klingeln hören?« Er drückte die heulende Zwergin an sich. »Am meisten aber hat Lauretta verloren.«
»Er hat lange genug von uns gelebt, der Goliath!«, fauchte Marianne. »Und was hat er nicht alles in sich hineingestopft. Soll er sehen, wie er ohne uns
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