Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
zurechtkommt. Groß genug ist er ja.«
»Und wie kommen wir ohne ihn zurecht?« Stephan stierte insFeuer, seine Miene war düster. »Wer wird an die Messerscheibe gehen? Wer wird das Brummeisen schlagen, wer mit dem Bauch reden?«
»Suchen wir uns eben einen neuen Spielmann.« Marianne machte eine wegwerfende Geste. »Gaukler gibt es genug, viel zu viele.«
»Sie werden meinem Großen den Kopf abschlagen«, jammerte die Zwergin. »Sie werden ihn verhungern lassen.«
»Unsinn!« Mit herrischer Geste winkte Marianne ab. »Sie werden ihn stäupen, an den Pranger stellen und danach laufen lassen.«
Heulend stand Lauretta auf und schaukelte zu ihrem Nachtlager.
Aus schmalen Augen belauerte David die Landgräfin. In solchen Augenblicken hasste er sie besonders. »Selbst wenn wir schnell einen Ersatz für Rübelrap finden – wird er Lauretta versorgen?«
»Das kann ich übernehmen«, erklärte die Landgräfin. »Verhungern wird sie schon nicht.«
»Sie wird wohl verhungern«, hielt David dagegen, »denn wer wird sie lieben? Ihr etwa?«
So ging es noch eine Zeitlang hin und her. Bis die Landgräfin sich auf den Wagen zurückzog und in ihre Decken rollte.
David blieb bei seinem Ziehvater an der Feuersglut sitzen; unentwegt redete er auf ihn ein. »Wir müssen zurück nach Heidelberg fahren und Rübelrap auslösen.« Immer wiederholte er das Gleiche. »Es war ein Fehler, ihn auszuliefern. Wir dürfen ihn nicht im Stich lassen. Wir müssen zurück an den Neckar.«
»Der Krieg wird uns erwischen.«
»Wir müssen.«
»Das wäre Wahnsinn.«
»Wir müssen.«
David redete so lange auf Stephan ein, bis der nur noch stumm seinen Grauschopf schüttelte – und irgendwann aufstand und zu seinem Wagen schlurfte.
David hingegen blieb noch lange allein vor der Asche sitzen. In ihrem Wagen schnäuzte sich Lauretta. Im Wald rief ein Kauz. Am Teichufer quakten Frösche. Mit einem Mal begann Stephans Wagen zu knarren und zu wackeln und David hörte seinen Ziehvater ächzen und schnaufen und die Landgräfin stöhnen und seufzen. Später schnarchten beide um die Wette, während Lauretta schluchzte und Rübelraps Namen jammerte.
David dachte an den Bauchredner und schämte sich. Die kalte feuchte Luft aus Wald und Teich kroch ihm in die Knochen, doch erst, als er zu zittern begann, glitt er unter seinen Wagen zu seinen Bären. Dort wickelte er sich in alle Decken und Felle, die er finden konnte, und rückte eng an die schlafende alte Cura. Die Faust mit dem Zopf seiner Mutter auf der Brust, lag er wach und starrte hinaus in den heraufdämmernden Morgen.
»Wir kehren um«, verkündete Stephan kurz nach Sonnenaufgang. David traute seinen Ohren kaum.
»Was soll das heißen: ›Wir kehren um‹?« Marianne streckte ihren noch unfrisierten Schopf aus dem Wagen.
»Heiliger Mustafa! Was soll das schon heißen?« Stephan wurde laut. »Das soll heißen, dass wir zurück nach Heidelberg fahren und versuchen werden, den Bauchredner auszulösen.«
Die Zwergin stieß einen Freudenschrei aus, hoppelte herbei und warf sich gegen Stephans Beine.
»Gut«, sagte David und kroch unter seinen Decken hervor. »Sehr gut.« Cura und Bela neben ihm schüttelten sich und gähnten.
Marianne aber sprang vom Wagen, stellte sich vor ihren Mann und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Bist du jetzt vollends übergeschnappt? Willst du mich den Landsknechten Tillys oder Mansfelds ausliefern? Und Pferde und Wagen gleich mit? Wir fahren selbstverständlich nach Paris!«
»Ich hörte, dass auch Gaukler und Spielleute im Tross ihrer Armeen mitfahren«, sagte Stephan nachdenklich.
»Schwachkopf!« Jetzt schrie die Landgräfin, aber nicht vor Freude. »Hol dich der Teufel, verdammter Schwachkopf!« Mit den Fäusten trommelte sie auf ihren Gatten ein.
Der stieß sie von sich, sodass sie rücklings ins Gras stürzte. »Genug! Wir fahren nach Heidelberg und basta. Hast du nicht selbst gesagt, das Leben sei ein Spiel? Setzen wir also ein, was wir haben, und versuchen, Rübelrap auszulösen. Vielleicht verlieren wir alles, doch vielleicht gewinnen wir auch mehr, als ein Bauchredner wert ist.«
7
E in Spätsommermorgen Anfang Oktober 1621, das schöne Licht der aufgehenden Sonne glitzerte in unzähligen Tautropfen. Von ihrem Fenstertisch aus konnte Susanna das Lichtspiel beobachten, wenn sie von ihrem Stickrahmen aufsah und in den Obstgarten auf der anderen Straßenseite blickte. Das tat sie oft.
Jedes Mal hielt sie dann inne, schaute nur noch, vergaß ein
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