Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
Hause versperrt? Den Weg zu ihr? Hinter sich hörte sie, wie die Mutter sich räusperte. Susannas Blick flog zurück zu ihrer Arbeit. Sie stutzte: ein Farbfehler im Muster. Sie musste einen Faden wieder herausziehen, weil sie die Farben verwechselt hatte.
Gegen Mittag klopfte der Nachbar, wollte eine Axt ausleihen. Der Vater ging mit ihm in den Holzschuppen. Die Gesellen und der Lehrbub begannen zu tuscheln und schoben Flugblätter hin und her. Schon bis nach Heppenheim brandschatzten und plünderten die spanischen Soldaten, flüsterte der jüngere der beiden Gesellen. Sogar bis nach Weinheim und weit in den Odenwald hinein. Bayrische Reiter hätten ein Dorf nahe Beerfelden verwüstet.
Bis in den Odenwald? Susanna erschrak.
Der Vater blieb lange fort. Eine Nachbarin von der anderen Straßenseite kam ins Haus, brachte frische Butter zur Großmutter in die Küche. Susanna hörte die Frauen flüstern.
Sie stand auf und ging ebenfalls in die Küche, um Wasser zu trinken. Die alten Frauen tuschelten in der offenen Vorratskammer; keine bemerkte Susanna.
Die Truppen des neuen spanischen Generals hätten Engelsbrand in Schutt und Asche gelegt, hörte sie die Nachbarin erzählen, und nun belagere seine Armee Frankenthal. »Gott sei uns gnädig«, seufzte die Großmutter. »Wir Alten haben lange genug gelebt, aber meine Mädchen, meine armen Mädchen …«
Susanna verstand sofort, wer gemeint war.
»Werden unsere Enkel uns jemals Urenkel auf den Schoß setzen?« Die Angst ließ die Flüsterstimme der Nachbarin beben.
»In einer Welt wie dieser?« Die Großmutter zischte. »Müssten wir nicht wünschen, sie täten es niemals?«
Susannas Beine waren schwer, als sie zu ihrem Platz am Fenster zurückkehrte. Schon zum dritten Mal an diesem Vormittag griff sie zum falschen Wollfaden, die Hände zitterten ihr beim Versuch, ihn ins Nadelöhr zu stecken.
Kaum hatte sie es geschafft, riss schon wieder Hufschlag sie aus ihrer Arbeit. Auf der anderen Straßenseite gingen die Fenster auf, die Frauen des Nachbarhauses lehnten heraus. Eine Haustür wurde aufgestoßen, Kinder liefen aus den Häusern und spähten nach Norden. Irgendwer kam dort angeritten.
Soldaten? Susanna ließ den Stickrahmen sinken, schluckte, lauschte atemlos. Oder Friedrich? Ein hochgewachsener Reiter ritt nah an ihr Fenster, hielt seinen Rappen an und blickte zu ihr herein.
Susanna sah einen Blondschopf, sah blaue Augen leuchten – und ihre eigenen füllten sich mit Freudentränen. So verharrten sie ein paar Atemzüge lang: Susanna in der Werkstatt hinter ihren Stickereien, Hannes draußen auf der Dorfstraße im Sattel.
Bis er das Pferd antrieb, um in den Hof zu reiten. »Hannes!« Susanna sprang auf. »Hannes!« Sie rannte aus der Werkstatt, sprang in den Hof, stürzte in seine offenen Arme.
Die Zeit blieb stehen, die Sonne schien heller. Sie drängten sich aneinander, flüsterten, hielten einander fest, küssten einander die Tränen von den Wangen. »Du bist da, mein Hannes? Du bist wirklich da …?«
Irgendwann erinnerte Susanna sich, dass es noch ein Handschuhsheim, einen elterlichen Hof und eine Werkstatt gab und eine Welt, die sich weiterdrehte. Sie löste sich aus Hannes’ Armen, wandte sich um, und da standen sie in der offenen Hintertür: Vater und Mutter.
»Hannes … Er ist zurückgekommen.« Susanna stammelte, was doch jeder sehen konnte, aber sie wusste nicht mehr, was sagen und was tun, so sehr hatte die Rückkehr des Geliebten ihre Gedanken und Gefühle aufgewühlt.
Am Fenster drückte Anna sich die Nase platt, neben ihr schüttelte die Großmutter stumm den Kopf. Die Gesellen erkannte sie ebenfalls hinter den Fenstern, auch den, dem der Vater sie unbedingt zur Frau geben wollte. Und die Mutter in der Tür war sehr blass. Ihre Kaumuskeln bebten, und ihre Augen sprühten Eislicht.
»Hannes?«, fragte Vater und trat in den Hof. »Hannes Stein? Warum kommst du schon zurück? Ist etwa dein Vater gestorben?«
Das fragte er, weil es nur wenige Gründe für einen Handwerksgesellen gab, seine Wanderschaft abzubrechen. Der Tod des Vaters gehörte in einigen Zünften dazu.
»Viele sind gestorben, Meister Almut.« Hannes ging an Susanna vorbei, streckte den Eltern die Rechte zur Begrüßung entgegen. »Weiß Gott! Doch dem Himmel sei Dank: Mein Vater gehörtnicht dazu.« Die Mutter verweigerte den Handschlag, der Vater ergriff Hannes’ Rechte und schüttelte sie.
»Es sind viele gestorben?« Der Vater blinzelte, runzelte die Stirn, schien
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