Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
Augen.
David aber war hellwach. Mit allen Sinnen versuchte er zu erfassen, was Greenley da auf der Bühne trieb, was überhaupt dort oben geschah.
Der englische Prinzipal trug ein gelb-rot gemustertes Kostüm, das richtig teuer aussah. Sein leuchtend roter Hut saß ihm wie ein zu niedrig geratener Turban auf dem Kopf. Beinahe armlange Schwanzfedern eines Goldfasanhahnes krümmten sich säbelartig zu beiden Seiten des Hutes weit hinaus über Greenleys Hinterkopf, sodass sie ein wenig wie Vogelschwingen wirkten. Zusammen mit den schwarz geschminkten Augen und der kantigen Nase verlieh der Federhut Greenleys sowieso schon greifenähnlichem Gesicht vollends etwas Raubvogelartiges.
David erfasste sofort, dass Greenleys Figur Ähnlichkeit mit seiner eigenen hatte, mit Jean Potage: Auch sie wollte die Leute erheitern. Und viele im Hof, auf der Mauer und im Garten lachten auch, wenn der Rot-Gelbe auf der Bühne seine Gesichter schnitt und seine weit auslandenden Gesten vollführte. Zugleich jedoch empfand David die eindringliche Geistesgegenwart und die bezwingende Würde, die Greenleys greifengesichtige Gestalt ausstrahlte. Zweifellos spielte der Engländer hier eine ungleich wichtigere Rolle als er selbst, wenn er als Jean Potage auf der Bühne der Wagenburg herumtollte.
Greenley stand an der rechten Seite der Bühne – oder nein: des Rittersaales. Mit wenigen geflüsterten und dennoch deutlich zu verstehenden Worten, sorgfältig gesetzten Gesten und einem Mienenspiel, das mehr sagte, als viele Worte es vermocht hätten, verwies er auf das, was zwischen den anderen beiden Männern auf der Bühne geschah; und darauf, dass es etwas hoch Gefährliches sein musste.
»O weh«, flüsterte er. »Der Geist spricht mit dem Prinzen Hamlet.« Er schlug die großen, schmalen Hände über dem Kopf zusammen. »O weh – wohin wird das führen?«
Gesichtsausdruck und Handbewegungen des Vogelartigen lenkten Davids Aufmerksamkeit auf die beiden anderen Männer. Der jüngere kniete in einen dunklen Pelz gehüllt am Boden. Das musste der sein, den Greenleys Figur »Prinz Hamlet« nannte.
Von einem Prinzen namens Hamlet – ein fremdartiger Name, weiß Gott! – hatte David noch nie gehört. Von Geistern, die mit Menschen redeten, dagegen erzählten die Leute sich so manches.
Der andere ragte bleich, graubärtig und ganz in Weiß gehüllt vor dem Prinzen auf. Der »Geist«, wie es schien. Eine Krone saß auf seinem Grauschopf, vielleicht ein verstorbener König. Mit finsterer Miene und in englischer Sprache redete er auf den Knienden ein. David wollte unbedingt erfahren, was der Geist sagte – das hätten wohl alle um ihn herum gern gewusst.
Späße à la Jean Potage gab es nicht auf dieser Bühne, wenn man einmal von den unglaublichen Gesichtern absah, die Greenley schnitt. Auch keine Tänze gab es, kein Geschrei, keine Zoten. Sie spielten da etwas, als wäre es die Wirklichkeit. Und durch die Art, wie der Rot-Gelbe am Rande der Bühne das Spiel durch seine Gesten und Grimassen begleitete und erläuterte, hatte es dennoch zugleich etwas Leichtes, beinahe Lustiges.
»Hört der Prinz auf den Geist, werden sie mich bald brauchen hier«, sagte die Figur, hinter der sich Greenley verbarg, und schulterte einen Spaten. »Mich, den Totengräber.« Und dann erstarrte er, legte die Hand ans Ohr, riss den Mund auf und duckte sich. »Er soll töten, habt ihr es verstanden? Prinz Hamlet soll töten, die seinen Vater getötet haben. Er wird doch nicht auf den Geist hören?« Er wich zurück, setzte den Spaten ab, deutete auf den Prinzen. »Er hört wahrhaftig auf den Geist – seht auch Ihr es ihm an? Am besten schaufele ich schon einmal sein Grab …!«
Plötzlich war David, als würde jemand ihn von der Seite beobachten. Er wandte den Kopf, sah zur Vortreppe der Kanzlei und begegnete dem Blick der jungen Frau, wegen der allein er hierhergekommen war. Dunkelblau und groß waren diese Augen und irgendwie ernster, als David es erwartet hatte. Ihr Blick drang ihm auf geradem Weg ins Herz.
*
Es fiel dem Rittmeister nicht ganz leicht, still zu sitzen und dem Geschehen auf der Bühne seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu widmen. Eigenartiges Zeug, was sie dort oben aufführten: Ein ermordeter König erschien seinem Sohn als Geist und verlangte von seinem rechtmäßigen Nachfolger standesgemäße Rache. Maximilian von Herzenburg sprach fließend Französisch, doch Englisch konnte er nicht einmal lesen. Also neigte er den Kopf seiner neben ihm
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