Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
sich dienassen Stiefel von den Füßen. Bela kam zu ihm, bis seine Kette sich straffte, und die alte Cura hob schnüffelnd die Nase. Im Gewitterlicht leuchteten die Augen des Uhus auf wie gelbglühende Kohlestücke.
»Ganz ruhig, meine Freunde.« David tätschelte Belas Nackenfell, strich jedem über Schnauze und Stirn. Die Berührung der Tiere tat ihm gut, beruhigte ihn selbst. Der englische Hund leckte ihm die Hand, Bela stieß ihm die Schnauze in den Bauch. Und dann hörte er es: fremde Stimmen in der Stube neben dem Stall. Männerstimmen. Stephans Stimme und mindestens drei andere. Eine kannte er.
Er lauschte, seine Hand fuhr in die Hosentasche, schloss sich um den Haarzopf seiner Mutter. Auch Marianne hörte er jetzt schimpfen. Richtig schlau wurde er nicht aus dem, was da in der Stube gesprochen wurde. Er schob die Tiere zur Seite, ging zur Tür, stieß sie auf. Viel zu viele Menschen füllten die Stube.
Es roch nach Wein. Ein Krug stand auf dem Tisch, zwei Becher daneben, drum herum brach sich Lampenlicht in Rotweinspritzern. David warf den Sack mit Rübelraps Henkersmahlzeit auf den Tisch, und die Stimmen verstummten. Er zog die triefende Jacke aus und ließ sie in die Pfütze fallen, die sich rund um ihn bildete. Alle starrten ihn an: Stephan, Marianne, Lauretta – und Franz Hacker und drei, die er nur vom Sehen kannte. Soldaten: zwei Schotten und ein Holländer. Ein Degen lag auf dem Tisch, eine Hellebarde lehnte neben Hackers Muskete gegen die Wand. Lauretta heulte. Die Luft knisterte, und das lag nicht an dem Gewittersturm draußen.
»Sie wollen ihm den Kopf abschlagen.« Die Landgräfin schob ein Papier mit einem erbrochenen Siegel über den Tisch. »Der kurpfälzische Generalprofos hat das Urteil gesprochen, der Pfalzgraf hat es erlaubt.«
»Mein Rübelrap!« Die Zwergin heulte auf wie ein getretener Dachshund. »Mein armer, armer Rübelrap!«
David trat zum Tisch und überflog, was auf dem Papier geschrieben stand. Das Urteil des Generalprofos des kurpfälzischen Regiments in Heidelberg. Tod durch das Schwert.
Wie ein Richter in Friedenszeiten sprach ein Profos in Kriegszeiten Recht. Jedes Regiment hatte einen, fast jede Kompanie. Ihr Oberster war eben der Generalprofos. Die Hinrichtung sollte am dritten Sonntag im September nach dem Gottesdienst auf dem Marktplatz stattfinden.
Verstohlen musterte David Franz Hacker. Der schien ihm weniger triumphierend aus seinem Bartgestrüpp zu gucken, als er es erwartet hatte. Sofort sah er auch den Grund: Hackers rechte Hand lag verschrammt und irgendwie verkrümmt auf dem nassen und schmutzigen Hosenbein seines Schenkels. In der Linken hielt er einen halb vollen Weinbecher. Schlamm und Laub bedeckten seine rote Jacke. Die linke Seite seines Gesichts blutete aus etlichen Schürfwunden.
Einer der Schotten drückte sich ein durchgeblutetes Tuch auf den Scheitel, der Holländer hatte sein linkes Bein auf einem Schemel liegen. Offenbar tat es ihm weh, denn er verzerrte das Gesicht wie unter großen Schmerzen. Mit den freien Händen hielten sich beide an Weinbechern fest. Unverletzt und nüchtern schien nur der Waffenknecht an der Eingangstür. An der rüttelte jetzt eine Orkanböe, und vor den Fenstern blitzte und krachte es, als wäre ein Fass Pulver explodiert.
»Dem Henker haben die Tillischen heute am Trutzkaiser die rechte Hand abgeschlagen.« Hackers hohe Stimme klang verwaschen und zerknirscht, was sein Schwäbisch noch eine Spur komischer als sonst machte. Der kleine Musketier schien mächtig berauscht zu sein. »Und der Steckenknecht ist sehr jung, muss man wissen, er hat noch nie …« Franz Hacker stellte den Becher ab und fuhr mit der linken Handkante durch die Luft. »Und einen dicken Hals wie euren Bauchredner traut er sich einfach noch nicht zu.«
Steckenknecht nannte man den Gehilfen des Henkers; er war vor allem für Prügelstrafen und Quälereien zuständig.
Hacker zuckte mit den Schultern. Sofort verzerrte er wieder das Gesicht und hielt sich die verletzte Hand. »Deswegen können wir das Urteil erst vollstrecken, wenn nach Ende der Belagerung ein neuer Henker aus Mannheim nach Heidelberg kommen kann.« Er griff nach dem Becher und leerte ihn.
Lauretta heulte schon wieder laut auf, und David sagte: »Dann werden wir uns wohl in Geduld üben müssen, Herr Fähnrich, was?« Er sprach leise und zischend. Seine Miene so kantig, wie man sie selten sah. »Und Eurem Henker richtet meine besten Genesungswünsche aus!«
»Gemach, Herr Gaukler,
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