Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
über dem bewusstlosen Bandelierreiter, zielte auf den Hals, holte zum Stoß aus – und ließ die Klinge wieder sinken.
Er vermochte es nicht.
Er hob den Blick, sah in die nassen Augen der Frau. Susanna. Sie biss sich in die Faust, ihr verkrümmter Körper bebte vor unterdrücktem Schluchzen. »Weg hier.« David zog sie von der Bettstatt, sah das Blut an ihren Schenkeln und hüllte sie in eine Decke.
So führte er sie aus dem Haus, über den Hof, in den leeren Hühnerstall auf der anderen Seite und dort in eine Kammer voller Federn, Hühnerbeinen, Äxten, Körben und Holzzubern. Die junge Frau kauerte sich ins Heu, wie sie zuvor im Bett gekauert hatte. David befahl Bela, sich neben sie zu legen. »Warte hier.«
Zurück im Haus griff er, was er tragen konnte – Degen, Waffengurt, Karabiner, Patronengurt, die Sturmhaube des Bandelierreiters. Auch eine Ledertasche mit einer schweren Bibel, einer Flöte und anderen Habseligkeiten nahm er mit; die konnte nur Susanna gehören. Dem Toten am Bett zog er den blutigen Wams aus. Die Hintertür verriegelte er, steckte den Schlüssel ein. Das Heulen und Jammergeschrei von geschundenen Heidelbergern drang noch immer aus allen Häusern und Höfen ringsum. David huschte in den Hühnerstall, schloss die Tür, setzte sich neben die schluchzende Frau ins Heu, lauschte auf Schritte und Stimmen und wagte kaum zu atmen.
Später flößte er ihr Wasser ein, das er in Hackers Feldflasche mitgenommen hatte. Auch Brot und kalte Rüben bot er ihr, doch das verweigerte sie. Sie sah ihn kaum an, lag nur zusammengekauert, bebte und schluchzte, sprach kein Wort. Spät in der Nacht jedoch, als sie eingeschlafen war, murmelte sie unverständliches Zeug und manchmal einen Namen.
David tat kein Auge zu. Das Heulen, Wehklagen und die Schreie hielten die ganze Nacht an. Manchmal hielt er sich die Ohren zu, doch nie lange – er musste ja auf der Hut sein und rechtzeitig hören, wenn Soldaten in den Hof kamen.
Es war der Gedanke an Susanna, der ihn letztlich aus Vorstadt und Herrengarten zur Südmauer hinauf und dann hierher an den Südostrand der Alten Stadt getrieben hatte; ganz in die Nähe des Ortes, wo sie ihn so oft abgewiesen hatte. Stephan und die Zwergin hatten ihn bedrängt, nur ja nicht den leidlich sicheren Herrengarten zu verlassen. Weil dort nur wenige Wohnhäuser standen, stürmten die Eroberer an ihm vorbei zum Mitteltor, hinter dem sich verschanzte, wer immer sich retten konnte; und von der Vorstadt brannte vor allem der am Neckar gelegene Teil.
»Nimm wenigstens Bela mit«, hatte Stephan schließlich nachgegeben. »Die Kosaken werden ihn sonst womöglich fressen, und falls ich sterbe und wir einander verlieren, kannst du immerhin noch mit ihm tanzen und so deine Kreuzer verdienen.«
Stephan hatte geweint, als er ihn zum Abschied umarmte. Die Erinnerung stimmte David ganz wehmütig.
Er blieb unbehelligt auf dem Weg hierher, konnte sich rechtzeitig verstecken, wann immer er die Eroberer auf Leitern über die Stadtmauer steigen sah. Entfesselte Landsknechte und Reiter waren durch Gassen und Straßen gestürmt wie tödliche Feuersbrunst – Bayern, Österreicher, Kosaken, Böhmen, Krabaten. Alle fielen sie in die Höfe und Häuser ein. Die Soldaten der Heidelberger Garnison hatte David mit wenigen Bürgern ins Schloss hinauf fliehen sehen.
In einem der Häuser in der Nachbarschaft mischten sich gegen Mitternacht Stimmen von Betrunkenen in das Jammern missbrauchter Frauen und Kinder. Offenbar hatten Soldaten einen Weinkeller dort entdeckt und sich niedergelassen. Bald duftete es nach Braten, und das Stimmengewirr und Gejammer hörte sich an, als ließen die Eroberer sich bedienen und quälten dabei von Zeit zu Zeit einen ihre unfreiwilligen Gastgeber.
Irgendwann grölten sie Landsknechtslieder, irgendwann fluchte einer mit bayrischem Akzent ganz entsetzlich, irgendwann ging ein Fenster auf und einer pisste in einen Hof hinunter, und irgendwann kehrte Ruhe ein.
Da dämmerte schon der neue Morgen herauf. David war übel vor Erschöpfung und Schrecken. Schon tönten wieder die ersten Schmerzensschreie aus einem Haus auf der anderen Straßenseite. Er legte die Hände vors Gesicht und weinte. Danach konnte er wieder klarer denken.
Er hatte keine genaue Vorstellung, wie es weitergehen sollte, wusste nur, dass er die gedemütigte und verwundete Frau, die da zwischen Bela und ihm im Heu lag, dass er Susanna irgendwie durch die Tage des Grauens bringen musste, die der glorreiche
Weitere Kostenlose Bücher