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Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziebula
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seinen Reitern stand. »Bis übermorgen, wenn der Gottesdienst in der großen Kirche auf dem Marktplatz beginnt.« Schneeberger jubelte am lautesten. Von Torgau strich sich über den Flaumbart und lächelte still und genießerisch in sich hinein. Nur der Leutnant zeigte mal wieder keine Spur von Freude.
    Maximilian von Herzenburg hob die Hände, der Jubel legte sich; die Blicke seiner Reiter hingen an seinen Lippen. »Es gibt da ein Mädchen in Heidelberg – um die zwanzig, schwarze Locken, dunkelblaue Augen, schlank. Ich hab ihren Namen herausfinden können: Susanna Almut, Tochter eines Schneiders. Sie wohnt an der Nordmauer. Sie gehört mir. Wer sie findet, dem erlasse ich meinen Anteil an seiner Beute und zahle ihm zusätzlich zwei Reichstaler.«
    *
    Sie rannten zur Brücke hinunter, machten kehrt, weil Soldaten die Gasse heraufliefen, versuchten es mit der nächsten Gasse, mussten wieder umkehren und nahmen schließlich den Umweg über den Marktplatz. Die Schreie im Westen der Stadt rückten näher. Es war, als würde eine Woge des Schmerzes von dort über die Stadt gehen. Nur weg davon! Nur schnell nach Osten zum Neckargemünder Tor und zur Herrenmühle!
    Susanna folgte den anderen, ließ sich ziehen von denen, die ihre Hände hielten. In ihrem Kopf war nur Platz für einen Gedanken: dass sie rennen musste, schnell rennen, noch schneller. Die schwere Bibel in der umgehängten Ledertasche schlug ihr gegen die Hüfte, die Angst saß wie Frost in ihrer Brust, in ihrem Hirn.Manchmal schossen ihr Bilder ohne Zusammenhang durch den Kopf: der Vater, Anna, Hannes und der Fluss, in den sie springen sollte. Und immer, wenn sie den Neckar vor ihrem inneren Auge strömen sah, verwandelte der Angstfrost in Kopf und Brust sich zu spitzen Eiszapfen und der Atem wollte ihr stocken.
    »Nehmen wir den Weg über das Gymnasium«, keuchte Martin. Sie rannten dicht an der Südseite der Heilig-Geist-Kirche entlang. »Dort gibt’s bestimmt keine Landsknechte, dort haben die Kanonen doch schon alles kaputtgeschossen.« Sie bogen um die Ecke zur Ostseite der Kirche – und rannten mitten in eine große Schar anderer Flüchtlinge. Susanna stieß mit einem schweren alten Mann zusammen, beide stürzten.
    Geschrei von allen Seiten. Schritte und Stimmen näherten, Schritte und Stimmen entfernten sich. Benommen stemmte Susanna sich hoch. Warum war es so dunkel auf einmal? Dämmerte es denn schon? Auf den Knien liegend blinzelte sie nach Westen. Schwarze Rauchwolken verdeckten die schon tief über dem Horizont stehende Sonne. Brannte denn die ganze Vorstadt?
    Eine nicht enden wollende Menschenmenge stürmte aus der Hauptstraße auf den Marktplatz. Viele Soldaten, einige Frauen und wenige Männer der Bürgerschaft. Ganz vorn erkannte Susanna den Gouverneur und einen seiner Offiziere. Kurpfälzische Soldaten also, keine Papisten! Sie atmete auf. Die Soldaten rannten vorbei, die Frauen folgten, auch die wenigen Männer. Viele mit Tornistern, Bündeln oder Leinensäcken auf den Schultern, die meisten in guten Kleidern, alle mit bleichen, verängstigen Mienen.
    Jemand griff ihr unter die Achsel, zog sie hoch – die Böhmische. Jemand unter den Vorüberhastenden winkte. »Zum Schloss!« Susanna erkannte das Kleid sofort: nachtblauer Leinenstoff mit Blumenornamenten in Himmelblau und Rot. »Die Stadt ist verloren, zum Schloss hinauf!« Die Frau des Magisters! Es war drei Jahre her, dass sie ihr das Kleid bestickte. »Mervens Garnison hält nurnoch das Schloss!«, rief die Frau. »Hinterher! Immer hinter den Soldaten her!«
    Susanna sah sich um – wo steckten Martin, wo der Onkel, die Tante und die Cousinen? Fort, alle fort. »Komm!« Die Böhmische zerrte sie hinter den Fliehenden her, die schon zum Hospital abbogen. »Schneller!« Wieder füllte Angstfrost Susannas Gedanken, wieder rannte sie, wieder trieben Eiszapfen in Brust und Hirn sie voran. Das Hospital blieb zurück, das Angstgeschrei aus dem Westen rückte dennoch näher. Van der Mervens Soldaten rannten Richtung Kanzlei und Münze, die ersten bogen schon in die Schlossstraße ein. Die Schar der Flüchtenden hinter ihnen zog sich in die Länge, einige Bürger konnten kaum noch laufen, und manche stolperten oder brachen erschöpft zusammen. Wie alle, die sich noch auf den Beinen hielten, rannten auch Susanna und die Böhmische an denen vorbei, die am Boden knieten oder lagen. Wie dunkel es schon war hier zwischen den Häusern, wie sehr es nach Brand roch! Und wie unerbittlich das Geschrei

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