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Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziebula
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im Westen der Stadt anschwoll!
    Auf einmal stockte die Kolonne der Flüchtenden – Frauen kreischten, Männer brüllten, Degen klirrten, Schüsse krachten. Und ungewohnte Rufe wurden laut: »Sancta Maria! Sancta Maria!«
    Die Böhmische stand jäh still, Susanna stieß gegen sie. Es roch nach Pulver. Hundert, zweihundert Schritte vor ihnen stürmten Soldaten aus einer ansteigenden Gasse – struppige, schmutzige Männer mit roten Bändern um Hüte und Helme. Manchen wehten fleckige Fahnen mit aufgemalten Kreuzen oder dem Bildnis der Maria an Spießen oder Musketen. Papistische Soldaten! Einige hieben auf die Nachhut der Kurpfälzer Garnison ein, andere fuhren schon unter die Frauen, wieder andere schlugen die Männer nieder, die sich schützend vor sie stellten.
    Susanna stand wie festgefroren. Vorbei. Flüsternd begann sie ein Gebet zu stammeln.
    Die Böhmische aber fauchte sie an. »Du wirst jetzt stark sein!« Fast akzentfrei klang ihr Deutsch nun, und ihre schönes Gesicht sah hart aus, wie aus Eisen gemeißelt. Sie riss Susanna über die Gasse, zog sie durch einen Torbogen in einen Hof und dort durch eine Hintertür in die Küche eines Hauses.
    Schritte und Männergebrüll näherten sich. Die Böhmische zerrte Susanna weiter hinter sich her. Hinaus aus der verlassenen Küche, in einen menschenleeren Gang hinein – die Frau ließ sie einfach nicht los. Zu einer Treppe hastete sie, an einer Haustür vorbei, die Stufen hinauf – Susanna stolperte, ihre klammen Finger entglitten der feuchten Hand der anderen. Die stürzte allein die Treppe hinauf, winkte ihr, zischte: »Komm schon, Susanna! Komm doch …!«
    Susanna griff nach dem Geländer, wollte sich hochziehen – da krachte es hinter ihr und die Haustür sprang auf. Sie erstarrte.
    Landsknechte standen auf der Schwelle, feixten. »Was für ein süßes Täubchen haben wir denn da eingefangen?«, sagte einer, ein anderer packte sie, und der dritte verriegelte die Haustür hinter sich. Sie schleppten sie zurück in den Gang, vorbei an der offenen Küchentür, hinein in eine Kammer und zu einer Bettstatt. Dort warf jeder einen Würfel auf den Dielen vor dem Bett, und der, die höchste Zahl würfelte, riss ihr die Kleider vom Leib, stieß sie in die Decken und warf sich auf sie.
    Sein Gewicht presste ihr den Atem aus der Brust und jedes Gefühl aus den Gliedern. Gestank nach saurem Wein, altem Schweiß und noch älterem Fisch betäubte sie; sie atmete durch den Mund, starrte an die Decke. Etwas in ihr rief erst nach ihrem Vater, dann nach Hannes. Das Gebälk verschwamm ihr vor den Augen, die ganze Welt verschwamm, und wieder ging es ihr wie vorhin schon im Weinkeller, als die Tante nur andeutete, was sie jetzt erleben musste: Alles Keuchen und Feixen kam wie aus einer fremden Ferne, alles Klammern und Wackeln, jeder Schmerz, jeder Geruch rückte ganz weit weg, schien ihr in einen Traum zu gehören, dernicht ihrer war, mit dem sie gar nichts zu schaffen hatte. Und auf einmal kam es ihr vor, als würde das Deckengebälk sich auflösen und ihr Blick hindurch in den Abendhimmel gehen. Blau war der, hell, kein Rauch und auch sonst nichts Böses.
    Und plötzlich fuhr da eine Kutsche mitten im Himmel! Rollte von Norden heran, vom Heiligenberg, eine Kutsche, leuchtend wie aus Gold. Sechs Rappen zogen sie, der starke Mann auf dem Kutschbock hieb mit einer Peitsche auf sie ein, trieb sie zu noch strengerem Galopp. Er lenkte das Gespann in einer weiten Schleife durch den Himmel über der todeswunden Stadt, zog dabei an den Zügeln und hob auf einmal die Rechte. Langsamer rollte die schöne Goldkutsche, hielt beinahe an über dem offenen Dachstuhl, über Susanna – und nun erkannte sie den Mann auf dem Kutschbock. Hannes! Er winkte sie zu sich, und ganz leicht war ihr mit einem Mal, so leicht, dass sie zu schweben begann. Ja, sie schwebte durch die Öffnung im Dachstuhl in den Himmel hinein und dem Gespann und der Kutsche entgegen. Ich komme, mein Hannes, ich komme zu dir …
    Eine raue Stimme polterte in ihr schönes Schweben, ein Fluch und eine harte Erschütterung in ihre Leichtigkeit, der Schmerz kehrte zurück. »Schneeberger, Feldwebel!«, brüllte einer. »Regiment Obrist von Bernstadt, Fähnlein von Herzenburg! Runter von der, die gehört meinem Rittmeister!« Widerworte, noch mehr Flüche, böses Schnauben, und dann krachte ein Schuss.
    Himmel, Gespann und Kutscher erloschen, das Gebälk schloss sich, das schwere Gewicht rollte über sie hinweg und zur Seite. Es

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