Der geduldige Tod (German Edition)
bildeten sich auf ihrer Haut. Zitternd strich sie über ihr Gesicht, um sich zu fangen.
»Victoria, ist alles in Ordnung?«, fragte Francisco besorgt und beugte sich zu ihr.
Sie schüttelte den Kopf und japste nach Luft. Ihr war, als hätte sich auf einmal die Sonne verdunkelt. Sie war zurück auf dem Parkplatz in der Nacht, als der Mörder drohend über ihr stand und mit dem Messer ihre Hände abtrennte. Sie konnte sich nicht bewegen. Wie gefangen in ihrem Körper musste sie reglos mit ansehen, wie er versuchte, ihre Knochen zu brechen. Wie er zerrte und zog, wie ihr Blut auf den Boden spritzte. Sie wollte schreien, aber sie konnte nicht. Auch ihre Stimme gehorchte ihr nicht mehr. Sie sah in die blauen Augen des Mörders, wie sie fiebrig und irre glänzten, wie der Schweiß von seiner Stirn tropfte. Sie versuchte sich zu wehren, doch ihr Körper gab keine Regung von sich. Sie hatte die Kontrolle verloren. Sie fühlte sich wie tot. Da waren nur der Mörder und ihr Blut. Und ihre Hände, die nur noch der Knochen hielt, der nicht brechen wollte. Und dann wurde alles um sie herum schwarz.
›Ruhig werden!‹, dachte Victoria verzweifelt. ›Ruhig werden!‹ Sie erinnerte sich an die Worte, zu denen ihr die Ärzte geraten hatten, wenn solch ein Panikanfall auftrat. ›Ich bin in Sicherheit. Ich bin ganz sicher. Alles ist in Ordnung, auch wenn sich mein Körper anders anfühlt. Es sind nur Erinnerungen. Es geschieht nicht wirklich. Hier ist alles ganz harmlos.‹
Dazu summte sie eine Melodie, die sie aus ihrer Kindheit kannte und die sie immer geliebt hatte. Es klang zunächst krächzend, doch dann fester und sicherer.
Die Dunkelheit lichtete sich. Sie war wieder auf dem Boot und neben ihr hockte Francisco. Er sah erschrocken aus. Er hatte ihr während des Anfalls zu Hilfe eilen wollen, doch sie hatte seine Berührungen nicht ertragen und seine Hände weggeschlagen.
Es dauerte ein Weilchen, bis sie sich gänzlich fing. Erst nach mehreren Minuten konnte sie spüren, wie sich ihr Herzschlag langsam beruhigte, die Luft wieder gleichmäßig in ihre Lungen strömte, der Schweiß auf ihrer Haut trocknete. Nur das Zittern blieb.
»Willst du zurück an Land?«, fragte Francisco leise hinter ihr. »Soll ich dich nach Hause bringen?«
Sie wäre eigentlich gern noch in dieser traumhaften Bucht geblieben und hätte sich befreit und sogar ein bisschen glücklich gefühlt. Doch sie nickte zustimmend.
Gottes Plan
Der Tod hasste die Insel. Sie war zu heiß, zu laut und zu voll. Er bevorzugte die kühleren Regionen und die Stille eines gemütlichen Heims. Aber er hatte es sich nicht aussuchen können, wohin es ihn verschlug.
Er sah sich um. Um ihn herum befanden sich Bauleichen. Ruinen von Häusern, deren Besitzer es nicht geschafft hatten, ihr Vermögen durch die Wirtschaftskrise zu retten. Die Wände standen, die Dächer waren dicht, aber für den Putz über den Ziegeln hatte es schon nicht mehr gereicht.
Der Tod ging auf eines der unfertigen Häuser zu, die wie in vielen anderen Orten eine neu erschlossene Straße säumten. Der Blick zum Meer war unverbaut, lediglich Schutt und Unkraut blockierten die Sicht auf das glitzernde Wasser.
Er schob eine Plastikplane an der Tür zur Seite und ging hinein. Es war ebenso heiß darin, aber wenigstens brannte die Sonne nicht mehr auf sein Haupt. Er lief in der Ruine umher, bis er den kühlsten Ort des Gebäudes entdeckte. Dort legte er die Tüte ab. Ihr Inhalt würde die Hitze nicht lange aushalten, aber da musste er durch. Er nahm den Inhalt in die Hand und inspizierte ihn. Eine gute Wahl, eine sehr gute sogar.
Und das Beste daran: Das war erst der Anfang.
***
Victoria ärgerte sich noch am Abend über ihr Verhalten. Aber sie konnte es nicht steuern. Sie hatte ihre Angst nicht im Griff. Seit jener Nacht mit dem Mörder überfielen sie diese Anfälle hinterrücks und ohne Warnung und ließen sich danach nur schwer vertreiben. Die Ärzte und ihr Psychiater hatten gesagt, dass sie eines Tages verschwinden würden, aber es wäre ein langer Prozess. Endlos lang, wie Victoria fand.
Müde lag sie am Abend im Bett und hoffte, dass sie Francisco nicht zu sehr geschockt oder vielleicht sogar vertrieben hatte. Er war so lieb zu ihr gewesen, hatte sie so schnell wie möglich zurück zum Hafen gesegelt und dann nach Hause begleitet. Dort hatte er sich nur zögerlich verabschiedet, und auch erst nach ihrem Versprechen, ihm am Abend Bescheid zu geben, wie es ihr ging.
Doch
Weitere Kostenlose Bücher