Der geduldige Tod (German Edition)
müsse sie sich gleich übergeben.
»Füße, Augen und Kopf. Was machen Sie damit?«
»Nichts! Ich mache nichts damit! Ich habe sie nicht! Denken Sie etwa, dass ich die Frauen getötet habe?«
Der Gedanke kam Victoria so absurd vor, dass sie ihn bisher gar nicht in Erwägung gezogen hatte. »Ich war es nicht! Ich bin vielleicht das nächste Opfer.«
»Wirklich? Sie sind bisher die Einzige, die mir sagen konnte, dass es der Mörder auf Körperteile abgesehen hatte, schon bei der ersten Leiche, als wir es noch für einen Unfall oder zumindest einen Einzelfall hielten. Doch Sie haben sofort etwas davon gesagt, dass eine neue Frau zusammengesetzt werden soll. Und dann fehlen der nächsten die Augen, der dritten der Kopf. Also, was wollen Sie damit?«
»Nichts?!« Victoria schrie fast hysterisch. »Dann ist der Mörder von Deutschland doch hierhergekommen. Oder einer seiner Fans ist es und kopiert seine Taten.«
»Nein, Ihr Puppenmörder, wie sie ihn dort nennen, sitzt. Ich habe schon angerufen. Es gibt auch niemanden, der sich besonders für sein Werk interessiert, niemanden, mit dem er Kontakt hatte. Er hat sich inzwischen ganz der Religion verschrieben und redet nur noch über Jesus Christus. Es bleiben wirklich nur Sie übrig.«
»Aber ich war es nicht!«
»Wo haben Sie sich vergangene Nacht aufgehalten?«
»Zu Hause in meinem Bett. Allein.« Tränen rannen über Victorias Gesicht. Das musste ein weiterer Albtraum sein. Sie hielt ihre bebenden Hände hoch und zeigte ihre Narben. »Ich kann kaum Brot schneiden, wie soll ich dann den Kopf einer Frau abtrennen?«
Das zeigte Wirkung. Die Kommissarin lehnte sich zurück. »Ich verhafte Sie nicht. Noch nicht. Aber ich behalte Sie im Auge. Sie stehen momentan auf meiner Verdächtigenliste ganz weit oben. Also verlassen Sie nicht den Ort. Aber das hatten Sie vermutlich ohnehin nicht vor.« Sie stand auf. »Sie können gehen.«
»Bringen Sie mich nicht nach Hause?«
»Es fährt ein Bus, der bringt sie heim.«
Victoria wandte sich zur Tür und verließ den Raum, so schnell es ihre wackeligen Beine erlaubten.
Sie fand tatsächlich die Buslinie, die sie zurück in ihre kleine Bergstraße brachte. Señora Rodriguez saß auf den Stufen und streichelte eine neue Katze. Sie war kleiner und jünger und hatte ein komplett schwarzes Fell.
»Das ist Caco«, sagte die Alte und hielt ihrer Mieterin die Katze entgegen. Wie passend. Caco , der Dieb, dachte Victoria und nickte nur abwesend. Sie wollte schnell an ihrer Vermieterin vorübergehen, doch die schien ihren Zustand bemerkt zu haben und hielt sie fest.
»¿Que pasa?«
Victoria wollte ihr eigentlich nichts erzählen, doch sie war zu aufgebracht. »Sie hatten Recht«, sprudelte aus ihr heraus. »Die Polizei ist schlecht. Sie glauben, ich hätte diese Frauen ermordet. Aber ich war es nicht. Es ist verrückt! Ich habe niemanden getötet!«
Die Frau stutzte zuerst, dann legte sie ihre Hand auf Victorias Arm. »Sie nicht Mörder. Polizei dumm, stupido! Wir suchen auch Mörder, viele Frauen Angst. Wir zusammen ihn finden.«
Sie sah Victoria aufmunternd an.
Die nickte. »Die Polizei beschuldigt die Falsche. So finden sie ihn nie.«
»Wer sagt, Sie sind Mörder?«
»Eine Kommissarin Hernandez.«
Kaum hatte Victoria den Namen genannt, lachte Señora Rodriguez abfällig auf. »Hernandez? La puta! Ah, sie ganz schlimm. Zorra!«
»Warum? Wieso? Was hat sie getan?«
»Sie ist Mörderin. Aber gehen Sie jetzt in Bett und schlafen. Morgen besser.«
Victoria wollte einfach nur noch allein sein. Sie nickte erneut, gehorchte und ging nach oben, doch nicht, um sich ins Bett zu legen. Sie holte den Koffer hervor und packte ihre Sachen. Sie musste weg hier. Offenbar war die Insel nicht weit genug entfernt von ihrer Vergangenheit. Und nicht gut genug, um einen irren Killer fernzuhalten. Die Welt war groß. Irgendwo musste es doch einen Ort geben, an dem kein Mörder Frauen die Körperteile abtrennte.
Fieberhaft warf sie alles, was sie in der Eile greifen konnte, in ihre Tasche. Dann griff sie in die Schublade neben ihrem Bett, in der sie ihren Reisepass aufbewahrte. Aber sie griff ins Leere. Ihr Pass befand sich nicht dort. Hastig suchte sie das ganze Schränkchen ab, dehnte ihre Suche sogar auf weitere Schränke aus, doch ihr Pass blieb verschwunden. Zitternd stand sie da und überlegte, ob sie ihn in Gedanken herausgenommen und an einen anderen Ort gelegt hatte. Aber sie konnte sich nicht daran erinnern, so etwas getan zu
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