Der gefährliche Traum (German Edition)
»Tretet ein in unsere bescheidene Hütte.«
Jetzt erst sah sich Max genauer um. Staunend folgte er der Gastgeberin in das sogenannte Treppenhaus, das aber nichts mit den Treppenhäusern zu tun hatte, die er kannte. Es war einfach nur gigantisch. Eine riesige breite Freitreppe aus weißem Marmor und einem roten Läufer in der Mitte führte auf eine Zwischenebene. Von da aus konnte man entweder links oder rechts eine Treppe wählen. Zu beiden Seiten hingen an den Wänden Jagdtrophäen. Aber nicht einfach nur irgendwelche Rehgeweihe wie bei ihnen im Gärtnerhaus. Irgendein Vorfahr hatte offenbar eine Vorliebe für die Großwildjagd. Zwar gab es kein Nashorn oder Löwen aus Afrika, aber in Kanada lebten ja auch große Tiere. Zumindest brauchten sich die drei Elchgeweihe nicht zu verstecken. Bedrohlich hingen sie über ihnen.
Fritzi musste wohl Max’ staunender Blick aufgefallen sein. »Ein Großonkel von mir hat sie Anfang des letzten Jahrhunderts erlegt. Als ich noch kleiner war, hatte ich Angst, dass mich einer verschlingt. In deren Maul passt locker ein Kind!«
Vom Treppenhaus gelangten sie in einen ausgesprochen repräsentativen Flur. Ahnenporträts und prunkvolle Türen schmückten die eine Wandseite. Gegenüber wechselten sich gold gerahmte Spiegel und goldene Wandleuchter mit zahlreichen Fenstern ab, die Max schon vom Hof aus gesehen hatte. Ihm fiel auch auf, dass es hier genauso unverwechselbar alt roch wie im Gärtnerhaus, nur wirkte der Geruch etwas vornehmer.
Fritzi deutete auf ein Gemälde, das einen streng aussehenden Herrn mit gezwirbeltem Schnurrbart zeigte. »Das ist Großonkel Leopold, der Großwildjäger! Hatte keine Nachkommen. Ehe er sich fortpflanzen konnte, machte ihm ein Grizzlybär einen Strich durch die Rechnung.« Fritzi grinste.
»Kennst du die anderen auch?« Max deutete auf die Damen und Herren in veralteten Kostümen, die mal liebevoll, mal streng auf ihre Nachkommen herabsahen.
»Auf manchen steht zum Glück der Name und wann sie gelebt haben. Aber trotzdem gibt es einige, von denen wir nicht wissen, wer sie sind. Diese Bilder hängen einfach schon immer hier. Vielleicht sind die Leute mit uns verwandt, vielleicht aber auch nicht.« Fritzi zuckte mit den Schultern. »Ein paar von denen können einem richtig Angst machen, wie der Typ dort.« Sie zeigte auf einen Mann, der wirklich furchteinflößend aussah. »Nachts sind manchmal merkwürdige Geräusche zu hören. Ich stelle mir dann vor, dass einige von denen aus ihren Bildern steigen und hier herumspuken.«
Max bekam eine Gänsehaut.
»Von dem dort erzählt man sich zum Beispiel, dass er unglücklich in ein Dorfmädchen verliebt war. Aus lauter Liebeskummer hat er sich auf dem Dachboden erhängt. Angeblich soll er immer an seinem Todestag dort oben herumjammern.«
Frau von Hohenstein unterbrach ihre Tochter. »Genug von Geistern. Ich persönlich bin noch keinem begegnet. Auch wenn ich zugeben muss, dass es wirklich manchmal merkwürdig ist, welche Geräusche es gibt, wenn die Dunkelheit hereinbricht und die Schatten lang werden.« Sie deutete in ein Zimmer.
»Ich habe im Griechischen Salon eingedeckt. Dort ist es einfach gemütlicher. Außerdem müssen wir keine Filzpantoffeln anziehen, um den Parkettboden zu schonen. Er ist einer der wenigen Prunkräume, der nicht der Öffentlichkeit zugänglich ist und nur uns gehört. Mein Mann hat extra einen Teppich verlegen lassen.«
Der Raum war beeindruckend. An den Wänden hingen auch hier zahlreiche verschnörkelte Spiegel. Die Decke war mit Stuck verziert und mit Szenen aus der antiken Sagenwelt bemalt, deren Bedeutung Max aber nicht kannte. In der Mitte stand ein gedeckter ovaler Tisch, auf dem eine äußerst lecker aussehende Sahnetorte darauf wartete, verspeist zu werden. Alles wirkte sehr vornehm und dennoch gemütlich. Es fehlte nur noch ein anheimelndes Feuer in dem gigantischen offenen Kamin. Schade, dass es Sommer war.
»Setzt euch!«, bat Frau von Hohenstein. »Ihr Kinder könnt euch ja auf das Sofa setzen.« Sie zwinkerte Max’ Mutter verschwörerisch zu.
Mein Gott!, schoss es Max durch den Kopf. Unsere Mütter wollen uns verkuppeln!
Fritzi hatte wohl den gleichen Verdacht, denn sie setzte sich demonstrativ auf einen Stuhl, was Max erleichtert zur Kenntnis nahm. Scheinbar hatte Fritzi mit diesem peinlichen Spielchen nichts zu tun.
Zum Glück waren die folgenden Gespräche bei Kaffee und Kuchen angenehmer als erwartet, wenn auch ausschließlich die beiden Frauen
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