Der gefährliche Traum (German Edition)
sich an die Ereignisse erinnern würde. Ich wagte nicht mal, das Lösegeld aus dem Versteck zu holen. Wochen vergingen und niemand hatte etwas von Friederike von Hohenstein gehört. Das Geld traute ich mich aber immer noch nicht an mich zu nehmen. Stattdessen vergrub ich es in der Hütte der Räuber, um im Notfall doch noch alle Schuld auf sie abwälzen zu können. Inzwischen hatte jeder Einwohner Hohensteins mindestens zweimal die Hütte auf den Kopf gestellt, in der Hoffung, das Lösegeld zu finden. Ich war mir sicher, dass dort niemand mehr danach suchen würde.
Nachdem einige Monate vergangen waren, rührte sich mein Gewissen. Bis heute habe ich es nicht über mich gebracht, das Lösegeld an mich zu nehmen. Stattdessen traf mich die gerechte Strafe Gottes. Bis zum heutigen Tag verfolgt mich das Bild der bewusstlosen Friederike bis in den Schlaf. Erst nach Jahren brachte ich den Mut auf und begab mich zum Kloster. Eine alte Nonne konnte sich noch gut an das Mädchen erinnern. Sie berichtete mir, dass es sich von seinen äußeren Verletzungen rasch erholt hatte. Sein Gedächtnis aber hatte für immer Schaden genommen. Das Mädchen wusste nicht mehr, wer es war. Also blieb es in dem Kloster und wurde Nonne. Ihr Name ist jetzt Schwester Clara und sie lebt inzwischen in einem Kloster in Bamberg. Soweit die alte Nonne es wusste, ging es Friederike gut. Erleichtert kehrte ich nach Hohenstein zurück. Ich sah keinen Grund, alte Wunden wieder aufzureißen, schwieg weiterhin und erlebte so mit, wie das spurlose Verschwinden des Mädchens im Ort zu einer Legende wurde, die sich die Leute erzählten.
Nun, nach 22 langen Jahren, da ich alles gebeichtet habe, fühle ich mich zum ersten Mal etwas erleichtert, auch wenn die Schuld bleibt. Ich bin nun bereit, vor den allmächtigen Herrn, unseren Schöpfer, zu treten und für meine Tat zu büßen.
Dich aber, mein Sohn, bitte ich, der Familie von dem Schicksal der kleinen Friederike zu berichten. Vielleicht ist es noch nicht zu spät, die verlorene Tochter wieder in den Schoß der Familie zurückzuholen.
In Liebe
Dein Vater
Alle schwiegen für einen Moment. Max fand als Erster die Worte wieder.
»Sie hat also das Unglück überlebt«, rief er erleichtert.
»Aber die Familie hat niemals von dem Brief erfahren«, warf Fritzis Vater ein. »Vielleicht hat den Amtmann kurz vor seinem Tod doch noch der Mut verlassen und er hat den Brief hinter dem Gemälde versteckt.«
»Oder der Sohn war nicht viel besser als sein Vater und hatte um seinen guten Ruf Angst«, schlug Max vor. »Allerdings hätte er dann besser das Geständnis vernichten sollen.«
Fritzi beschäftigten offenbar ganz andere Gedanken.
»Wahnsinn!«, platzte sie heraus. »Offenbar ist diese Angst von Generation zu Generation weitergegeben worden. Julians Vater hat auch gefürchtet, dass ihm etwas angehängt wird, sobald er den Inhalt des Briefes bekannt gibt. Es ist doch verrückt, dass diese Tragödie all die Jahrhunderte nie an Gewicht verloren hat.« Dann grinste sie. »Vermutlich können jetzt alle besser schlafen.«
Der Bürgermeister sah erschöpft aus. Erleichterung konnte Max aber nicht erkennen. Was jedoch das Schlafen betraf, so war zumindest Max sich sicher, dass es wenigstens für ihn galt. Er hatte keine Angst mehr vor seinen Träumen. Jetzt, wo das Schicksal Friederike von Hohensteins aufgeklärt war, dürfte er seine Aufgabe erfüllt haben. Fast fand es Max ein bisschen schade. Er hätte sich gerne von Andreas verabschiedet.
»Wissen Sie mehr über das Leben, das Friederike als Nonne geführt hat?«, fragte er Herrn von Dauber, doch dieser schüttelte den Kopf.
»Nein, darum habe ich mich nicht gekümmert.«
Max nickte wissend. »Aber umso mehr um das Lösegeld. Haben Sie es eigentlich gefunden?«
»Nein, leider nicht«, gestand der Bürgermeister. »Wir sind mit Metalldetektoren die gesamte Fläche mehrmals abgegangen, nachdem wir die Umrisse der Hütte rekonstruieren konnten. Wenn in der Hütte jemals das Geld versteckt worden war, dann hat es wohl im Laufe der Jahrhunderte jemand anders gefunden und sich daran erfreut.« Der Bürgermeister grinste bitter.
»Vermutlich war es Ihr eigener Urahn, der Sohn des Amtmanns«, schlug Fritzi höhnisch vor.
»Wir lassen trotzdem noch den Erdkeller ausräumen«, erklärte Julian und erntete dafür einen mahnenden Blick von seinem Vater, den er aber ignorierte. »Dort haben wir noch nicht gesucht. Vielleicht ist das Geld ja im verschütteten Teil
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