Der Gefährte des Wolfes: Tristan (German Edition)
Nicken verließ er das Zimmer.
Raul lauschte, bis er das laute Krachen der Vordertür hörte und Alex’ gequältes Heulen in der Nacht verklang. Er versuchte, Alex’ letzte Worte nicht als böses Omen zu sehen, während er Alex‘ Kissen an sich zog, sich darum zusammenrollte und weinte.
Die Schuld war beglichen. Benjamin hatte sein Leben gerettet und er dafür Benjamins. Er hoffte nur, dass Alex ihm vergeben konnte, wenn sein Zorn irgendwann verraucht war.
Kapitel 19
Am nächsten Morgen wurde Raul früh durch hartnäckiges Klopfen geweckt. Alex war in der Nacht nicht mehr nach Hause gekommen und Raul war bis zur Morgendämmerung wach geblieben. Schließlich hatte ihn die Erschöpfung übermannt, auch wenn der Schmerz, den er seinem Gefährten zugefügt hatte, mit gleicher Macht in ihm gebrannt hatte.
Es hatte ihn unendlich viel Kraft gekostet, Alex nicht hinterherzurennen und um Vergebung zu flehen. Aber er wollte sich an sein Versprechen halten, Benjamin zu helfen. Erst danach würde er die Scherben seines eigenen Lebens aufsammeln.
Müde kämpfte er sich aus dem Bett und rieb sich die vom Weinen geschwollenen Augen, um seine Sicht zu klären. Wäre er ein Mensch, würden ihm sicherlich schon bald die Scheidungspapiere ins Haus flattern, aber wie Benjamin es gestern so treffend formuliert hatte, waren die Gefühle zwischen einem Wolf und seinem Gefährten nicht so einfach aufzulösen.
Alex war nicht glücklich über das, was Raul getan hatte, aber wenn etwas Zeit vergangen war und er sich beruhigt hatte, würde er es verstehen. Wenn es etwas gab, das Alex verstand und respektierte, dann waren das Verantwortung und Loyalität. Raul verdankte Benjamin sein Leben und er war dafür verantwortlich, diese Schuld zu begleichen.
Raul tapste zur Tür und schob neugierig den dünnen Vorhang vor der Scheibe beiseite, um nachzusehen, wer so früh morgens bei ihnen auftauchte. Ian, der Schamane des Rudels, stand auf der vorderen Veranda und begutachtete den Topf mit Rosmarin, den Alex und er gepflanzt hatten, als sie eingezogen waren. Mit einem überraschten Stirnrunzeln öffnete Raul die Tür.
»Ian?«
»Guten Morgen, Junge«, antwortete der ältere Mann mit tiefer Stimme und zog Raul in eine feste Umarmung.
»Du bist früh unterwegs.«
»Stimmt. Aber ich habe bessere Manieren als dein Gefährte. Der stand nämlich schon bei Tagesanbruch vor meiner Tür.« Ian hob die Augenbraue und bedachte Raul mit einem stechenden Blick. »Er sah verdammt fertig aus. Ungefähr so, wie du jetzt.«
Raul suchte stammelnd nach einer passenden Antwort. Alex würde nicht wollen, dass ihre Beziehungsprobleme weitergetratscht wurden, aber schließlich war Ian nicht irgendein beliebiges Rudelmitglied. Er war ihr Schamane, ihr Vertrauter und Ratgeber.
»Hat Alex dir erzählt, was passiert ist?«
»Nein, und ich habe auch nicht nachgefragt. Das steht mir nicht zu. Behalt einfach im Hinterkopf, dass er nur deshalb so wütend auf dich ist, weil du ihm sehr viel bedeutest«, sagte Ian beruhigend, als hätte er Rauls Gedanken gelesen. Er legte eine Hand auf Rauls Schulter, als er das Farmhaus betrat. »Erwarte ich zu viel, wenn ich auf einen Kaffee in deiner Küche hoffe? Alex hat gesagt, du brauchst Hilfe bei einer ganz besonderen Umwandlung, und mein altes Hirn braucht Koffein, um richtig zu funktionieren.«
Trotz seiner trüben Stimmung musste Raul bei dem Gedanken lächeln, dass Ian seinen Verstand als alt bezeichnete und andeutete, er könnte nicht mehr richtig funktionieren. Er hatte noch nie einen Mann mit wacherem Geist oder mehr Scharfsinn kennengelernt.
Alex besaß eine programmierbare Kaffeemaschine, die sich wie jeden Morgen um sechs Uhr angestellt haben sollte. Es versetzte ihm einen Stich, dass Alex nicht zu Hause war, um etwas von der aromatischen Mischung zu trinken, die er morgens so sehr liebte.
»Wir haben Kaffee«, sagte er mit tonloser Stimme.
»Gut, sehr gut. Zuerst der Kaffee und dann kümmern wir uns um deine Probleme«, versprach der alte Mann, als er in Richtung Küche schlurfte.
Seine Arthritis wurde immer schlimmer und die zunehmend kälteren Temperaturen taten ihr Übriges, sodass seine Glieder heute Morgen ein wenig steif waren. Meistens nahm er morgens seine Wolfsgestalt an und wärmte sich mit einem Streifzug durch den Wald auf, aber Alex’ Ankunft hatte seine übliche Tagesplanung gründlich durcheinander gebracht.
Ian nahm an dem dunklen Kirschholztisch Platz und wartete, bis
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