Der Gefangene der Wüste
Algier. Der General, mit dem er gestern im Salon gegessen hatte, war unterwegs im Atlasgebirge zur Besichtigung von Truppeneinheiten. Der Minister war in einer Kabinettsitzung, der Polizeipräsident hatte einen Empfang von Leuten der INTERPOL, Monsieur Prillier war weggefahren … Alle anderen konnten keine Auskunft geben oder scheuten sich, sie zu übernehmen. Nur ein junger Beamter in der Polizeipräfektur half Dr. Bender weiter. Er zeigte ein Foto.
Dr. Bender blieb der Atem stehen.
Saada.
»Das ist sie …«, sagte er schwach. Er mußte sich setzen und ergriff mit zitternden Händen das kleine Foto. Es zeigte Saada mit windzerzausten Haaren in einer trostlosen, unter der Sonne glühenden Landschaft. Es war das Funkbild eines Originals. »Das ist Saada … Wo haben Sie das Bild gefunden?«
»Vor zwanzig Minuten in der Villa Jussuf ben Rahmans. Das Funkbild kam vor vier Minuten hier an. Rahman wird zur Zeit verhört.«
»Also doch, also doch …« Dr. Bender starrte auf das Bild, sein Herz hämmerte wild gegen die Rippen. »Weiß man schon, wo es aufgenommen wurde?«
»Der Umgebung nach glaubt man in den Schotts Djerid … Sie wissen … in den Salzsümpfen. – Aber das werden wir noch erfahren. Rahman wird ja gegenwärtig verhört …«
Er lächelte dabei, und dieses Lächeln hieß: keine Sorge. Es kann nicht mehr lange dauern. Unsere Verhöre sind berühmt … da lernen selbst die Hyänen menschlich sprechen, und die Menschen heulen wie die Hyänen – Die Wahrheit kann sich nur noch für Stunden verstecken …
Vorsichtig nahm der Beamte das Bild aus Benders Händen und legte es in die Mappe zurück. Es war eine Kuriermappe, die nach einem Druck auf einen Klingelknopf sofort von einem Bürodiener abgeholt wurde. Auf dem schnellsten Wege wurde sie zu dem Polizeipräsidenten gebracht. Er unterbrach den Empfang der INTERPOL-Leute und kam herunter in das kleine Büro, wo noch immer Dr. Bender saß.
»Ist sie das?« fragte der Polizeipräsident. »Sie erkennen sie genau?«
Dr. Bender lächelte schwach. »Ich sollte Saada nicht aus Tausenden Mädchen herausfinden?«
»Es gibt verblüffende Ähnlichkeiten.«
»Sie ist es. Bei Gott, sie ist es!«
»Wir werden das Bild auch dem Scheich zeigen. Bedenken Sie, Sie bringen einen geachteten Mann wie Rahman an den Galgen …«
»Hängen Sie ihn auf, hängen Sie ihn … nur finden Sie mir auch Saada wieder!« Dr. Bender war am Ende seiner Kraft. Er schluchzte und sank mit dem Kopf auf die Tischplatte. »Wenn das Foto nicht Saada ist, dann hängen Sie mich auf.«
Von dieser Stunde an wurde selbst die Wüste klein, schrumpfte Afrika zusammen, war eine Spur kein Weg mehr ins Nichts.
Von Algier flog ein Funkbefehl nach Biskra.
Verhör von Jussuf ben Rahman bis zur völligen Wahrheit.
Nur wer Afrika kennt, weiß, was das heißt.
Für Jussuf ben Rahman brach die Hölle auf –
Pierre Serrat lebte in den Gassen der Kasbah zwei Tage, bis er die Möglichkeit sah, aus Algier wegzukommen. Zweimal war er den Polizeistreifen entwischt, tauchte unter in das Gewirr von Gäßchen und unterirdischen Gängen, jagte über Treppen die Hügel hinauf und hinab und versteckte sich schließlich bei einem Fischbrater in der Nähe der Großen Moschee. Der alte Mann, dessen Geschäft es war, minderwertige Fische, die kein Restaurant mehr kaufte, so zuzurichten und zu braten, daß man sie noch essen konnte, verbarg Serrat in einem Verschlag unter dem Dach und kassierte dafür gute 100 Francs.
Hier lebte Serrat wie ein wildes Tier, aß die merkwürdig riechenden Fische seines Gastwirtes und trank Sprudelwasser, das er, die Flasche für einen Franc, kaufen mußte.
»Die letzte Flasche zerschlage ich auf deinem Schädel, du Gauner!« brüllte er den Araber an, aber der Mann grinste nur und zeigte auf die Tür. Da schwieg Serrat und verkroch sich wieder in dem Verschlag.
Nach zwei Tagen wagte er sich wieder auf die Straße, stahl vom Boulevard de République ein Auto und fuhr mit ihm durch das Atlas-Gebirge zur ersten großen Wüstenoase Bou Saada. Niemand hielt ihn an, keiner beachtete ihn. Er tankte in Ain Aissa, kaufte sich in Bou Saada eine Autokarte, aß im Hotel Sahara einen Hammelbraten und studierte dann die Autokarte.
Zurück zum Camp, dachte er. Dort ist meine Heimat. Von dort holt mich keine Kompanie Soldaten weg. Dort wird mich auch keiner suchen. Wo soll ich auch anders hin? Die Wüste ist mein Vaterland, nicht das Frankreich, das ich nur als Kind kenne. Was soll ich in
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