Der Gefangene der Wüste
war zehn Jahre jung, als sie starb, an einer unheilbaren Krankheit. Die besten Ärzte ließ ich kommen, ich versprach ihnen ein Vermögen … sie konnten Saida nicht retten. Als sie starb, saß ich an ihrem Bett. Sie wußte, daß es zu Ende ging, und sie weinte in den letzten Minuten, bis das Herz aussetzte …«
In diesem Augenblick wurde die Tür aufgetreten. Drei Soldaten stürmten ins Zimmer, die Maschinenpistolen im Anschlag. Verblüfft starrte Fezzan sie an … er hatte seine Leute erwartet und wußte nun keine Erklärung mehr.
»Allah sei mit euch!« sagte er und hob die Hand. »Was ist passiert, Freunde?«
Die Soldaten blickten auf Saada, die noch immer an der Wand stand, etwas verkrümmt, als habe sie sich gerade gegen den Mann im Zimmer gewehrt. Das genügte. Wie auf ein Kommando hoben die Soldaten ihre Waffen. Fezzan trat einen Schritt vor, ungläubiges Staunen sprang auch in seine Augen wie vor wenigen Minuten bei Ali Hadschar.
Mit einem wilden Sprung stieß sich Saada von der Wand ab. »Nein!« schrie sie. »Nein! Nicht er! Nein!«
Es war zu spät. Die Garben aus den Maschinenpistolen ratterten schon los, bevor Saada den Mund aufriß, und zerpflügten den Körper Fezzans. Ganz langsam, mit traurigen Augen, sank Fezzan in sich zusammen und fiel auf das Gesicht. Er lag vor Saada, als wolle er sie anbeten.
»Warum habt ihr das getan?« stammelte Saada. »Warum habt ihr nicht gefragt?«
Sie starrte auf das Blut, das unter Fezzans Körper hervorrann und von dem dicken Teppich aufgesaugt wurde. Sie wollte noch etwas rufen, aber ihre Stimme war wie weggeweht, zerging schon im Munde zur Tonlosigkeit. Dann wurde es dunkel um sie … sie griff um sich, fühlte, daß jemand sie stützte, und fiel in Ohnmacht.
Eine halbe Stunde später tickte in der Kommandantur in Algier der Fernschreiber. Ein Kurier brachte das Schreiben sofort zum Regierungspalast.
»Die Aktion ist beendet«, sagte der General, der dem Staatschef den Bericht vorlas. »Wir haben neunundvierzig Mädchen befreit und den Ring der Mädchenhändler zerschlagen. Es gab neunundzwanzig Tote … meistens Personen, die sich wehrten –«
Der kleine Minister winkte ab. »Uninteressant. Was ist mit unserem Parademädchen Saada?«
»Sie ist mit einem Hubschrauber unterwegs nach Algier.«
»Allah sei Dank.« Der Minister sah glücklich um sich. »Das wird für alle Welt ein Beweis sein, wie gut unser Rechtsbewußtsein funktioniert. Es fehlt nur noch dieser Pierre Serrat.«
»Er ist verschwunden, Exzellenz.«
»Das gibt es nicht!« Der kleine Minister klopfte mit der Faust auf den Tisch. »Verschwunden! Er muß gefunden werden! Ich brauche seinen Prozeß! Er ist Franzose –«
Im Krankenhaus lief Ali ben Achmed wie ein Verrückter herum und betete laut. Ein Sanitäter hatte ihm die Nachricht überbracht.
»Sie lebt!« schrie er immer wieder. »Sie lebt. O Allah, Allah – deine Güte ist unbeschreiblich.«
Dann fing er einen lauten Streit mit den Ärzten an, die ihm nicht erlauben wollten, daß er das Krankenhaus verließ. »Man hat dir den halben Magen weggenommen!« schrien sie Achmed zu. »Drei Wochen mußt du noch hierblieben.«
»Drei Wochen?« brüllte Achmed zurück. »O Allah, hier haben sie alles halb … selbst die Ärzte laufen mit halben Gehirnen herum!«
Dr. Bender holte man aus dem Hotel Aletti zum Generalkommando. Aber erst im Vorzimmer erfuhr er, daß Saada auf dem Wege nach Algier war. Mit bebenden Fingern nahm er die Zigarette an, die ihm der General anbot.
Saada. Sie kam zurück aus der Hölle. Aber wohin ging ihr Weg? Wieder nach Bou Akbir? Oder nach Europa? Die Entscheidung, das wußte er, lag nun allein bei ihm. Es war eine Entscheidung, die ihm keiner abnehmen konnte.
Stumm rauchte er und schämte sich nicht, daß seine Hand dabei zitterte. Der General beobachtete ihn eine Zeitlang, ehe er sagte: »Saada ist nun gefunden. Kehren Sie jetzt nach Europa zurück, docteur?«
Dr. Bender hob die Schultern. »Ich weiß es wirklich nicht … Es hat sich in den letzten Tagen so viel verändert …«
Er rauchte hastig weiter.
Er hatte Angst. Angst vor der Begegnung mit Saada, Angst vor seinen Gefühlen, Angst vor den Konsequenzen. Und er dachte daran, was er gestern zu Cathérine gesagt hatte, als er an ihrem Bett saß und ihre noch immer blutleeren Hände hielt.
»Ich werde dich nicht verlassen. – Wir bleiben zusammen, Cathérine –«
Und sie hatte ihn glücklich angelächelt aus dem weißen Gebirge von Verbänden, die
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