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Der Gefangene der Wüste

Der Gefangene der Wüste

Titel: Der Gefangene der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Verteidigungsminister. In Marseille trat die Generaldirektion zu einer außerordentlichen Versammlung zusammen.
    Auch in Camp XI klingelte das Telefon. Ingenieur de Navrimont, um diese Morgenstunde noch ansprechbar, begriff erst nicht, was seine Außenstelle meldete. »Überfall?« stotterte er. »Wieso? Warum? Das ist ja verrückt!« Dann stürzte er in das Büro, stieß den Schreiber zur Seite und zog an der elektrischen Sirene.
    Gellend schrie vom Dach der Alarm über die schweigende Wüste. Von den Bohrtürmen rasten die Männer heran. Aus dem Schuppen rasselte ein Feuerwehrwagen, denn Alarm bedeutete bisher immer Brand.
    Pierre Serrat war es, der Dr. Bender entgegenprallte, als dieser nach dem Sirenengeheul die Krankenbaracke verlassen wollte. Cathérine war nicht da … sie verhandelte drüben in der Küche mit René Bourges, dem Koch, wegen einer Diät für den Gelbsuchtkranken. René stand auf dem Standpunkt, man solle Krepierende nicht aufhalten.
    »Ein Überfall«, sagte Serrat mit breitem, bösem Grinsen. »Ihre Freunde, die Araber. Aber jetzt ist die Geduld zu Ende! Jetzt werden wir sie aufreißen wie ein Backhuhn! Packen Sie Ihre Klamotten, Doktor! Jetzt gibt es endlich Arbeit für Sie, die sich lohnt –«
    Schon von weitem sahen sie die riesige, schwarze, fettige Wolke des brennenden Ölturmes ›Liberté II‹. Ein verkohlter Blumenkohl, so hing der Rauchpilz im fahlblauen glutenden Himmel der Sahara.
    Mit vier Wagen waren sie von Camp XI weggefahren … zwei Jeeps und zwei Feuerwehrautos, die völlig sinnlos waren, denn brennendes Öl kann man mit Wasser nicht löschen. Nun hielten sie auf der Kuppe eines Hügels, von dem die Wüstenstraße zu Camp XII ziemlich steil abfiel, und blickten hinüber zu der mit lodernden Flammen durchsetzten Wolke.
    »Hunde!« knirschte Pierre Serrat. Er stand vorne im Jeep und hatte die Hände um die Windschutzscheibe gekrallt. »Jahrelang war es hier ruhig … und jetzt fängt der Mist wieder an. Wissen Sie, was das bedeutet, Doktor? Leben auf der Spitze eines Dolches. Keine Nachtruhe mehr, überall kracht und brennt es, die Brunnen werden voll Sand geschüttet, oder man kippt tote Kamele hinein, damit das Wasser verseucht wird. Ich kenne das alles … ich lebe lange genug in diesem Mistland.«
    »Und warum sind Sie dann noch immer hier, wenn Sie die Wüste so hassen?« Dr. Bender blickte den beiden Feuerwehrwagen nach, die in einem irrsinnigen Tempo an ihnen vorbeirasselten und die Wüstenpiste hinunterschossen. »Sie hätten hundertmal die Möglichkeit gehabt, nach Europa zurückzukehren.«
    »Hätte ich.« Serrat setzte sich. Er stemmte die säulenförmigen Beine in den alten, ausgebleichten Stiefeln gegen den eisernen Boden des Jeeps und starrte auf die wabernde Lohe über dem Bohrturm. »Was wissen Sie von diesem Land, Doktor? Was Sie gelesen haben in Reisebüchern, was Sie gelernt haben in der Schule. Das sind Märchen für Hirnkrüppel! Wer kann die Wüste kennen, wenn er sechs Wochen auf einem zahmen Kamel herumgeritten ist? Man muß hier gelebt, gedurstet, geblutet, am Rande des Grabs gestanden haben, um die Wüste zu lieben und zu hassen!« Er senkte den Kopf, und plötzlich war seine harte, tiefe Stimme leise und wie erwürgt. »Ich hatte eine Frau und zwei Kinder.«
    »Hier?«
    »Ja, hier, in diesem Satansland. Nach der Entlassung aus der Fremdenlegion heiratete ich. In der Oase Bir Gusbah machte ich ein Lokal auf. Eine Bar, wie man hier so sagt. Der Laden ging gut … Bir Gusbah hat eine Pumpstation für sauberes Wasser, liegt an der großen Straße nach Timbuktu, besteht aus drei großen Karawansereien, einem Hotel, einer Tankstelle, einer Funkstation, vierhundertneunzehn Häusern und rund siebentausend Palmen. Ein in die Wüste gespuckter grüner Flecken, eigentlich ein Witz der Natur. Aber ich fühlte mich wohl dort. Ich bekam zwei Kinder, Jules und Henriette. Und ich fühlte mich als Sohn dieser Wüste. Das ist nämlich ganz komisch, Doktor. Erst fürchtet man sich vor diesem Land, dann verflucht man es, und schließlich kommt man nicht mehr von ihm los. Die Wüste hat das Herz aufgesaugt, so ist es. Ja, und eines Tages …« Serrat ballte die Fäuste, die Erinnerung durchschüttelte seinen massigen Körper … »da waren sie da. Es war in den Jahren des Algerienkrieges, als man alles kaputtschlug, was wir Franzosen hier in Jahrzehnten aufgebaut hatten. Fünf Lastwagen der algerischen Befreiungsarmee kamen nach Bir Gusbah, verhafteten alle Europäer,

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