Der Gefangene der Wüste
Nails-Mädchen rannten schreiend herum und verkrochen sich dann hinter den Kadavern der toten Kamele.
Mit einem mächtigen Hieb, den sich Dr. Bender selbst nicht zugetraut hatte, schlug er den Lauf der ratternden Maschinenpistole nach unten. Die letzte Garbe zischte in den Sand. Es sah aus, als koche vor ihnen der Boden und spritze über.
Serrat, wie von Sinnen, wirbelte herum und drückte den Lauf Dr. Bender in den Magen.
»Soll ich ein Sieb aus Ihnen machen?« brüllte er. Er war kaum zu verstehen, der Rausch der Vernichtung lähmte sogar seine Zunge. Nur ein tierisches Gebrüll kam aus seinem Mund. »Zurück!«
»Was haben Ihnen die Leute getan?« schrie Dr. Bender. Er umfaßte den Lauf der Maschinenpistole mit beiden Händen und hob sie höher an sein Herz. »Drücken Sie ab, los … los … Bauchschüsse sind nicht sicher … aber hier ist genau das Herz! Los doch!«
Serrat schien in sich zusammenzufallen. Er ließ die Waffe sinken, und ein heftiges Zittern durchlief seinen gewaltigen Körper.
»Was haben ihnen Louise, Jules und Henriette getan?« stammelte er. »Was haben ihnen unsere Kameraden dort drüben getan?«
»Diese Menschen hier sind unschuldig. Ihr ganzes Vermögen haben Sie ihnen genommen.«
»Es trifft immer die Unschuldigen.«
»Und der Haß, den Sie jetzt wieder aussäen?«
»Haß ist die einzige Lebensform, die sinnreich ist. Da weiß man, was man hat und was man zu erwarten hat. Alles andere ist Lüge, Verstellung, Theater, schleimige Scheiße! Haß – das ist greifbar. Merken Sie sich das, Doktor. Die Weltanschauung der Wüste heißt: Überleben. Wie – das bleibt jedem selbst überlassen.«
Er wandte sich ab, stapfte zum Jeep zurück und warf sich auf den heißen Sitz.
Dr. Bender trat zögernd an die im Wüstensand hockenden weißen Gestalten heran, an diese regungslosen Menschenknäuel, die starr auf ihre erschossenen Kamele blickten. Die ersten Geier kamen von Bou Akbir herüber und kreisten über dem Leichenfeld. Wo geschossen wird, das wußten sie, da gibt es Aas. Mit heiserem Kreischen überflogen sie die Wegkreuzung. Die Köpfe mit den spitzen Hakenschnäbeln zeigten nach unten.
»Wem gehört die Karawane?« fragte Dr. Bender auf französisch. Die weißen Gestalten rührten sich nicht … nur ein Gewand bewegte sich, ein Kopf kam aus den Tüchern hervor, schwarze Augen starrten ihn feindselig an. Der Mann hockte neben einem weißen Hedschaskamel im Sand und hatte beide Hände auf den zuckenden Hals des sterbenden Tieres gelegt.
»Ich bin Abu ben Gossarah«, sagte er. »Was wollen Sie noch, monsieur. Die Arbeit von dreißig Jahren ist vernichtet –«
»Ich wollte Ihnen sagen, daß ich es bedauere. Ich verabscheue diese Tat.«
»Worte sind wie Tropfen, die verdunsten. Aber die Toten bleiben.«
»Ich rate Ihnen, nach Ouargla zurückzugehen und dort alles anzuzeigen. Die Ölgesellschaft wird Ihnen vielleicht eine Entschädigung zahlen.«
»Keinen Dinar, monsieur.« Abu zeigte hinüber zu der fettigen, schwarzen Qualmwolke, die groß geworden war wie ein Gebirge. »Sie werden uns das da vorrechnen. Was soll ich ihnen sagen? ›Ich war es nicht, messieurs …‹ Es waren meine Brüder. Allah hat es so gewollt.«
»Und Sie werden Rache nehmen?«
Abu ben Gossarah schwieg. Er sah Dr. Bender lange an, schob dann sein weißes Gewand langsam über seinen Kopf und wurde wieder einer der weißen Steine, die neben den toten Kamelen hockten.
Dr. Bender wandte sich schaudernd ab. Die stumme Antwort Abus war deutlich genug.
Im Jeep wartete Pierre Serrat und startete sofort, als Dr. Bender neben ihm saß.
»Er wird Rache nehmen«, sagte Dr. Bender laut.
Serrat zuckte die Schulter. »Ich weiß. Man muß sich darauf vorbereiten.«
»Und ich werde Sie in Algier anzeigen, Serrat.«
»Tun Sie es, Doktor. Ich sage Ihnen, was geschehen wird: Nichts. Man braucht Pierre Serrat. Es gibt im ganzen Ölgebiet keinen besseren Fachmann für die Mineure. Das weiß ich. Wenn man mich wegjagt, kostet das die Gesellschaft ein Vermögen. Das sind ein paar Kamele nicht wert.« Serrats breites Gesicht war ausdruckslos und leer von allen Regungen. »Aber Ihnen rate ich, nach Algier zurückzugehen, Doktor. So schnell wie möglich. Die Wüste wird Sie auffressen … Sie sind genau der Typ, der sich mit Hosiannah auf den Lippen abschlachten läßt.«
Zehn Minuten später waren sie im Camp XII. Der Bohrturm ›Liberté II‹ stand in hellen Flammen. Aus dem Bohrloch schlug die fettige Lohe, die
Weitere Kostenlose Bücher