Der Gefangene der Wüste
es Abend war.
Auch die Tür des Stalles war offen … er rannte hinaus, war in einem Teil des Gartens von Achmed und rannte auf das Haus zu.
Zwei Diener kamen ihm entgegen … er wollte etwas rufen, schwenkte die Lampe … aber die Diener beachteten ihn gar nicht, sahen durch ihn hindurch, als sei er Glas, und gingen ungerührt weiter.
Das machte Bender völlig kopflos. Er warf die Lampe ins Gras, rannte weiter und kam durch die großen Flügeltüren der Terrasse ins Haus. Achmed saß allein vor einem goldeingebundenen Koran und betete. Neben ihm hockte auf einem seidenen Kissen der alte Kebir, der Priester, und murmelte vor sich hin.
»Fragen Sie Serrat!« schrie Dr. Bender. »Saada muß noch im Camp sein!«
Achmed blickte von seinem Koran hoch und sah Bender mit unendlich traurigen Augen an.
»Serrat ist seit zwei Tagen in Algier«, sagte er. »Sei ruhig … laß mich für Saada beten –«
Er neigte den Kopf über den Koran und murmelte weiter die Suren um Gnade im Paradies.
Dr. Bender stand unschlüssig herum, bis er begriff, daß er frei war, daß niemand ihn festhielt, daß er aus dem Grab entstiegen war und hinausgehen konnte, wohin er wollte. Das lähmte ihn zuerst, denn neu geboren zu werden ist ein Vorgang, den man als erwachsener Mensch selten erlebt.
»Geben Sie mir einen Wagen, ein Kamel, einen Esel, irgend etwas«, sagte er dann. »Ich muß sofort zurück ins Lager. Ich bringe Ihnen Saada wieder.«
»Hier kann nur Allah sprechen«, sagte der alte Kebir tadelnd. »Geh, Ungläubiger … dein Atem ist wie Pest!«
»Dann lassen Sie mich wenigstens telefonieren.«
Achmed schüttelte stumm den Kopf. Er war ein gebrochener Mann … mit Saada war seine Seele fortgegangen.
Taumelnd verließ Dr. Bender das Haus und traf draußen auf der Straße den Einkaufswagen des Magazins. Der Ungar Molnar steuerte ihn, Ferruggio, ein kleiner mieser Italiener, dem man nachsagte, er habe seine eigene Mutter erschlagen, weil sie ihm verboten hatte, ins Kino zu gehen, saß neben ihm. Sie bremsten sofort so stark, daß die Reifen quietschten. Dr. Bender lief mit wehenden Armen auf sie zu.
»Jungs!« brüllte er. »Jungs! Euch schickt der Himmel. Sofort zurück zum Camp! Ich erkläre euch alles später!«
Molnar und Ferruggio ließen Dr. Bender herankommen, ohne sich zu rühren. Dann stiegen sie aus und lehnten sich gegen den kleinen Dodgewagen.
»Er lebt noch«, sagte Ferruggio erstaunt. »Selbst auf die Araber ist kein Verlaß mehr.«
»Ruhe!« Molnar, der flinke, listenreiche Ungar, überdachte die Situation. Serrat war weg, aber Dr. Bender durfte nicht wieder auftauchen. Man konnte jetzt Serrat nicht fragen, er hätte Rat gewußt, aber es ging auch ohne ihn, verdammt noch mal.
Bender war heran und stand keuchend vor Molnar und Ferruggio.
»Wir müssen zurück ins Camp!« schrie er. »Schnell! Alles ist nicht so wichtig …«
»So so?« sagte Molnar langsam. »Nun hör einmal, mein Junge: Wir kennen dich nicht! Du bist nie im Lager gewesen. Es hat nie einen Arzt gegeben! Den wir einmal hatten, der ist in der Wüste verschollen, und dort bleibt er auch! Ist das klar?«
Dr. Bender starrte Molnar und Ferruggio aus flatternden Augen an. »Seid ihr denn alle verrückt?« stammelte er. »Hier geschehen Dinge, die –«
»Schluß!« Molnars Hand wehte durch die Luft. »Halt den Mund, Kerl. Merk dir eins: Wenn du dich im Lager blicken läßt, auch nur in der weiteren Umgebung, brennen wir dir ein paar Löcher in den Balg. Was du machst, ist uns gleichgültig. Von mir aus kannst du dich wie ein Sandwurm in die Wüste wühlen. Nur in unsere Nähe kommst du nicht. Und telefonieren kannst du auch nicht! Wer dich ans Telefon läßt – und wir kennen ja jedes Telefon in der Oase – der lernt das Fliegen! Verkriech dich irgendwo, wenn du schon lebst, und spiele Skorpion. Und jetzt aus dem Weg!«
Dr. Bender starrte Molnar an, als verstehe er nicht, was dieser sagte. Dann sprang er vor, stellte sich vor das Auto und breitete die Arme aus.
»Ihr Idioten!« schrie er. »Ihr wißt nicht, worum es geht! Serrat will Saada zur Seite bringen … und ihr alle werdet krepieren an der Hadjar-Krankheit. Sie ist bei euch im Lager, wißt ihr das überhaupt?!«
Ferruggio stieg ungerührt in den Wagen. »Soll ich ihn umfahren, Ungar?« fragte er trocken. Molnar winkte ab.
»Das gibt Kratzer und Beulen am Wagen. Nein, du Mafioso … das geht auch anders.«
Er ging zu Dr. Bender, holte ohne Warnung aus, blitzschnell, aus der Schulter
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