Der Gefangene
Smith wissen, auf welchen Oberflächen ein Ermittler am ehesten Fingerabdrücke finden konnte. Glatte, harte Oberflächen - Glas, Spiegel, fester Kunststoff, lackiertes Holz und so weiter. Dann ging er mit Smith zusammen die kleine Wohnung des Opfers durch und zwang ihn zuzugeben, dass er viele naheliegende Stellen einfach übersehen hatte - Küchengeräte, das Glas des offen stehenden Schlafzimmerfensters, die Armaturen im Badezimmer, Türfüllungen, Spiegel. Die Liste wurde immer länger, und es war klar, dass Smith bei der Suche nach Fingerabdrücken geschludert hatte.
Nachdem er den Zeugen in die Ecke gedrängt hatte, lief Barney zu Hochform auf. Wenn er zu aggressiv wurde, legte entweder Bill Peterson oder Nancy Shew Einspruch ein, was ihnen fast immer eine bissige Bemerkung Barneys einbrachte. Als Nächster trat Gary Rogers in den Zeugenstand und schilderte ebenfalls Details der Ermittlungen. Doch sein wichtigster Beitrag für die Beweisführung der Anklage bestand darin, den Geschworenen von dem Traum-Geständnis zu erzählen, das Ron am Tag nach seiner Festnahme gemacht hatte. In der Befragung durch den Staatsanwalt hörte sich alles noch ganz wunderbar an, aber Barney hatte trotzdem etwas daran auszusetzen.
Er wollte wissen, warum man die Aussage nicht aufgenommen hatte. Rogers gab zu, dass die Polizei eine Videokamera besaß und diese auch häufig benutzte. Nachdem Barney ihm schwer zugesetzt hatte, gestand er außerdem, dass die Kamera manchmal nicht benutzt wurde, dann nämlich, wenn die Ermittler nicht sicher waren, was der Zeuge sagen würde. Warum sollte man das Risiko eingehen und etwas aufnehmen, das der Anklage schadete, aber dem Angeklagten nützte?
Rogers gab zu, dass seine Abteilung ein Tonbandgerät besaß und dass er wusste, wie man damit umging. Bei Rons Verhör sei es nicht benutzt worden, da das nicht ihre normale Vorgehensweise sei. Das nahm ihm Barney allerdings auch nicht ab. Rogers bestätigte außerdem, dass es in seiner Abteilung stets genügend Stifte und Papier gab, geriet aber ins Stocken, als er erklären sollte, warum er und Rusty Featherstone Ron nicht erlaubt hatten, sein Geständnis selbst zu schreiben. Zudem hatten sie Ron das Geständnis nicht einmal gezeigt, als sie damit fertig waren. Barney wurde schon wieder misstrauisch, und während er Rogers wegen seiner ungewöhnlichen Vorgehensweise in die Mangel nahm, machte dieser einen großen Fehler. Er erwähnte Rons Videoverhör von 1983, in dem Ron hartnäckig bestritten hatte, etwas mit dem Mord zu tun zu haben.
Barney konnte es nicht fassen. Warum hatte ihm niemand etwas von diesem Videoband gesagt? Bei der Offenlegung der Beweise in der Voruntersuchung musste die Anklage auch sämtliche entlastenden Beweise vorlegen. Barney hatte schon Monate vorher die entsprechenden Anträge eingereicht, und das fristgerecht. Im letzten September hatte das Gericht die Staatsanwaltschaft angewiesen, dem Anwalt des Angeklagten sämtliche Aussagen zuzustellen, die Ron in Zusammenhang mit den Ermittlungen im Mordfall Debbie Carter gemacht hatte.
Wie konnten die Polizei und die Staatsanwaltschaft viereinhalb Jahre lang auf dem Band sitzen und es der Verteidigung verheimlichen?
Barney standen nur sehr wenige Zeugen zur Verfügung, da die Anklage im Wesentlichen auf Rons »Geständnis« beruhte und die Staatsanwaltschaft mit verschiedenen - wenn auch recht zweifelhaften - Zeugen zu beweisen versuchte, dass Ron den Mord mehr als einmal und unter verschiedenen Umständen zugegeben hatte. Die einzige Möglichkeit, gegen eine solche Beweisführung anzugehen, bestand darin, alles zu bestreiten, und der Einzige, der bestreiten konnte, die Geständnisse abgelegt zu haben, war Ron selbst. Barney wollte Ron in den Zeugenstand rufen, damit er sich selbst entlastete, doch bei dem Gedanken daran brach ihm der Schweiß aus. Das Videoband von 1983 hätte mit Sicherheit großen Eindruck auf die Geschworenen gemacht. Vor viereinhalb Jahren, lange bevor die Anklage ihre Liste dubioser Zeugen zusammengestellt hatte und lange bevor Ron durch sein Vorstrafenregister belastet wurde, hatte er vor einer Videokamera gesessen und wiederholt bestritten, etwas mit dem Mord zu tun zu haben.
In einem berühmten Urteil von 1963, Brady gegen Maryland, vertritt der U.S. Supreme Court die Meinung, dass »ein ordentliches Verfahren nicht gewährleistet ist, wenn die Anklage für den Angeklagten entlastende Beweismittel unterdrückt, die entweder für die Feststellung der
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