Der Gefangene
Gottesdienstes mit auf Ron aufpassen sollten.
Um des dramatischen Effekts willen behandelte die Polizei seine Teilnahme an der Beerdigung als Ereignis mit erhöhter Sicherheitsstufe. Er durfte die Kirche erst betreten, sobald alle ihre Plätze eingenommen hatten. Und die Fesseln wurden ihm nicht abgenommen.
Waren solche Vorkehrungen wirklich notwendig für einen Mann, dessen Verbrechen darin bestand, einen Dreihundert-Dollar-Scheck gefälscht zu haben?
Die Kirche war voll. Vor dem Altar stand der offene Sarg, sodass Juanitas verhärmte Züge für alle sichtbar waren. Die hintere Türe öffnete sich, und ihr Sohn wurde von Aufsehern durch den Mittelgang geführt. Seine Knöchel waren zusammengekettet, ebenso seine Handgelenke, und beide Ketten waren mit einer weiteren Kette verbunden, die um seine Mitte befestigt war. Mit winzigen Schritten schlurfte er nach vorn, und das Eisen rasselte und klirrte so, dass die ohnehin zum Zerreißen gespannten Nerven der Anwesenden noch zusätzlich strapaziert wurden. Als Ron seine Mutter in dem offenen Sarg liegen sah, begann er zu schluchzen. »Es tut mir leid, Mutter«, sagte er. »Es tut mir so leid.« Das Schluchzen steigerte sich, je näher er dem Sarg kam. Sie manövrierten ihn auf seinen Sitzplatz. Flankiert von Aufsehern saß er da, und die Ketten klirrten bei der geringsten Bewegung. Er war nervös, aufgewühlt, manisch und vollkommen unfähig, ruhig zu bleiben.
Da saß er nun in der First Pentecostal Holiness Church, jener Kirche, die er als Junge besucht hatte, in der seine Schwester Annette noch jeden Sonntagmorgen die Orgel spielte, wo seine Mutter selten ein Treffen verpasst hatte.
Den Blick auf ihr verwelktes Gesicht gerichtet, begann er zu weinen.
Nach dem Gottesdienst gab es im Gemeindesaal Mittagessen. Ron schlurfte hinüber, gefolgt von seinen Aufsehern, die erstaunlich großen Abstand hielten. Seit fast einem Jahr lebte er nun aus der Gefängniskantine - was es hier gab, war für ihn das reinste Festmahl. Annette bat den verantwortlichen Polizisten, Ron die Handschellen zu entfernen, damit er essen konnte. Die Bitte wurde abgelehnt. Ruhig wiederholte sie ihren Wunsch. Nein, lautete die Antwort.
Familie und Freunde sahen voller Mitleid zu, wie Annette und Renee ihren Bruder abwechselnd fütterten.
Am Grab dann, nach Bibellesungen und einem Gebet, traten die Trauernden zu Annette, Renee und Ron, um ihr Beileid und ein paar freundliche Worte auszusprechen. Es gab höfliche und herzliche Umarmungen, aber nicht für Ron. Da er seine Arme nicht zu heben vermochte, konnte er nichts tun, als mit den Frauen unbeholfene Wangenküsse zu tauschen und den Männern kettenklirrend die Hand hinzustrecken. Es war schon September, aber immer noch sehr heiß. Schweiß rann ihm über die Stirn und troff auf seine Wangen, doch er konnte sich das Gesicht nicht abwischen. Annette und Renee taten es für ihn.
Dr. Charles Arnos legte dem Gericht ein Gutachten vor, in dem er ausführte, dass Ron Williamson im Sinne der Gesetze von Oklahoma psychisch gestört sei. Er sei sich der Schwere der gegen ihn erhobenen Anklagen nicht bewusst. Er könne seinen Rechtsbeistand bei seiner Verteidigung nicht unterstützen, und er werde seine Zurechnungsfähigkeit erst nach einer Behandlung wiedererlangen. Dr. Arnos wies außerdem daraufhin, dass Ron, falls er unbehandelt entlassen werde, für sich selbst und andere eine Gefahr darstelle.
Richter Miller machte sich Dr. Arnos' Erkenntnisse zu eigen und verfügte, dass Ron für unzurechnungsfähig erklärt wurde. Ron wurde nach Vinita ins Eastern State Hospital verbracht, um sich weiteren Untersuchungen und Behandlungen zu unterziehen. Sein Arzt dort war Dr. R. D. Garcia. Er verordnete ihm Dalmane und Restoril gegen Schlaflosigkeit, Mellaril gegen Halluzinationen und Wahnvorstellungen sowie Thorazin gegen Schizophrenie, Hyperaktivität, Aggressivität und die manischen Episoden seiner bipolaren Störung. Es dauerte ein paar Tage, bis Ron auf die Medikamente eingestellt war, dann beruhigte er sich, und sein Zustand besserte sich.
Nach ein paar Wochen kam Dr. Garcia zum dem Schluss: »(Ron Williamson) ist ein Soziopath mit einer Vorgeschichte als Alkoholiker. Er muss weiterhin Thorazin nehmen, viermal am Tag je hundert Milligramm. Es besteht keine Fluchtgefahr.« Letzteres klingt einigermaßen absurd, hatte Ron doch die ausgesetzte Haftstrafe für ein Fluchtdelikt bekommen.
Auf schriftliche Fragen des Gerichts antwortete Dr. Garcia: »a) (Ron
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