Der Gefangene
Baskin.
Ron ließ sich widerstandslos verhaften. Er trug immer noch dieselben Jeans und Turnschuhe wie am Vormittag und hatte immer noch kein Hemd an. Im Gefängnis belehrte ihn Mike Baskin über sein Aussageverweigerungsrecht und fragte ihn, ob er reden wolle. Klar, warum nicht, erwiderte Ron. Detective James Fox nahm ebenfalls an der Vernehmung teil.
Ron versicherte wiederholt, dass er Debbie Carter nie getroffen habe, niemals in ihrer Wohnung gewesen sei und sie nach bestem Wissen und Gewissen nie gesehen habe. Er geriet nicht ein einziges Mal ins Wanken, obwohl er von den Beamten angebrüllt und schikaniert wurde. Wir wissen genau, dass du schuldig bist, hörte er immer wieder. Ron kam ins County-Gefängnis. Seit mindestens einem Monat nahm er keine Medikamente mehr.
Dennis Fritz lebte inzwischen bei seiner Mutter und einer Tante in Kansas City, wo er sich als Anstreicher verdingte. Aus Ada war er ein paar Monate zuvor weggegangen. Seine Freundschaft mit Ron Williamson war nur noch eine vage Erinnerung. Seit vier Jahren hatte er mit keinem Detective mehr gesprochen, und er hatte den Fall Carter schon fast vergessen.
Am späten Abend des 8. Mai saß er allein vor dem Fernseher. Er hatte den ganzen Tag gearbeitet und trug noch seinen schmutzigen Malerkittel. Es war ein warmer Abend, die Fenster standen offen. Das Telefon läutete, und eine unbekannte weibliche Stimme fragte: »Ist Dennis Fritz da?«
»Ich bin Dennis Fritz«, erwiderte er, und die Anruferin hängte ein. Vielleicht meinte sie einen anderen Dennis Fritz, dachte er, oder seine Exfrau Sherry hatte irgendetwas aus- geheckt. Er ließ sich wieder vor dem Fernseher nieder. Seine Mutter und die Tante schliefen bereits im rückwärtigen Teil des Hauses. Es war fast halb zwölf. Fünfzehn Minuten später hörte er, wie in der Nähe mehrere Autotüren zuschlugen. Er stand auf und ging barfuß zur Eingangstür. Da sah er durchs Fenster eine kleine Armee kampfbereiter Soldaten in Schwarz mit schweren Waffen über den Rasen auf sich zukommen. Was zur Hölle ...?, schoss es ihm durch den Kopf. Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte er, die Polizei zu rufen.
Es klingelte an der Tür, und als er öffnete, packten ihn zwei Polizisten in Zivil, zerrten ihn nach draußen und fragten: »Sind Sie Dennis Fritz?«
»Ja, das bin ich.«
»Dann sind Sie hiermit wegen Mordes verhaftet«, knurrte der eine, während der andere die Handschellen zuschnappen ließ.
»Von welchem Mord reden Sie?«, fragte Dennis, während ihm ein Gedanke durch den Kopf schoss: Wie viele Männer namens Dennis Fritz gab es in Kansas City? Bestimmt hatten sie den falschen erwischt. Seine Tante erschien an der Tür, sah, wie sich das SWAT-Kommando mit erhobenen und entsicherten Maschinenpistolen auf Dennis zubewegte, und wurde hysterisch. Seine Mutter kam aus dem Schlafzimmer gerannt, als die Polizisten ins Haus eindrangen, um es »zu sichern« - wobei sie auf die Frage, in Bezug auf wen sie es sichern wollten, keine rechte Antwort wussten. Dennis besaß keine Feuerwaffe. Es befanden sich auch keine anderen Mordverdächtigen auf dem Gelände. Aber die Jungs hatten eben ihre Anweisungen.
In dem Moment, als Dennis schon fürchtete, jeden Moment vor seiner Eingangstür niedergeschossen zu werden, erblickte er einen weißen Stetson-Hut, der sich ihm näherte. Zwei Horrorgestalten aus seiner Vergangenheit kamen die Auffahrt entlang. Bester Laune, von einem Ohr zum anderen grinsend, bahnten sich Dennis Smith und Gary Rogers einen Weg durch das Getümmel.
Oh, der Mord, dachte Dennis. In einer Sternstunde hatten die beiden Kleinstadt-Cowboys die Polizei von Kansas City beschwatzt, ihre Abteilung für die Ergreifung flüchtiger Gewaltverbrecher zu mobilisieren und diese hochdramatische, aber vollkommen sinnlose Razzia zu veranstalten.
»Darf ich mir meine Schuhe anziehen?«, fragte Dennis, und die Cops erlaubten es ihm widerstrebend.
Dennis Fritz wurde auf die Rückbank eines Polizeiwagens geschoben, wo im nächsten Moment ein verzückter Dennis Smith neben ihn rutschte. Einer der Detectives aus Kansas City saß am Steuer. Im Wegfahren sah Dennis auf die schwer bewaffneten SWAT-Männer und dachte: Was für eine Idiotie. Jeder Teilzeitbulle hätte mich allein im Lebensmittelladen an der Ecke verhaften können. Sosehr ihn die Festnahme auch erregte, er musste trotz allem grinsen, als er die betretenen Gesichter der einheimischen Polizisten sah.
Als Letztes sah er seine Mutter, die in der Tür
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