Der Gefangene
Ball gespielt hatten, über Freunde von damals. Sie sprachen über den Fall Carter und darüber, wie ungerecht es war, dass Ron in dieser Sache angeklagt worden war. Acht Stunden lang verhielt sich Ron ruhig. Seine Einzelzelle war ein Rattenloch, aber er brachte es fertig, zu schlafen oder zu lesen. Ehe Christian in den Feierabend ging, kam er noch einmal bei Ron vorbei. Der drehte dann meist rauchend Kreise hinter seinem Gitter und putschte sich wieder hoch, um seinen Radau fortzusetzen, sobald die Ablösung kam.
Am späten Abend des 22. Mai rief Ron John Christian zu sich - er wusste, dass er vorn am Empfang stand -, um mit ihm über den Mord zu reden. Er habe ein Exemplar von The Dreams of Ada in die Hände bekommen. Das habe ihn auf die Idee gebracht, auch ein Traum-Geständnis abzulegen. Christian zufolge sagte Ron: »Stell dir mal vor, ich hätte geträumt, was passiert ist. Stell dir vor, ich würde in Tulsa leben und den ganzen Tag saufen und Drogen nehmen. Stell dir vor, ich wäre zu Buzzy's Laden (dem Coachlight) gefahren, hätte dort noch ein paar Gläser gekippt und wäre daraufhin noch ein Stück betrunkener gewesen. Nimm mal an, ich wäre vor Debbie Carters Tür gelandet, hätte an die Tür geklopft, woraufhin sie sagt, Moment, ich bin gerade am Telefon. Stell dir vor, ich hätte die Tür eingetreten, sie vergewaltigt und umgebracht. Meinst du nicht«, fuhr er fort, »wenn ich sie tatsächlich ermordet hätte, dass ich mir ein bisschen Geld von Freunden geliehen hätte, um die Stadt zu verlassen?«
John Christian maß der Unterhaltung wenig Bedeutung bei, erwähnte sie aber einem Kollegen gegenüber. Sie machte die Runde, bis sie zwei Monate später schließlich Gary Rogers zu Ohren kam. Der Detective erkannte sofort seine Chance - das war zusätzliches Belastungsmaterial gegen ihren Mörder! Er bat John Christian zu wiederholen, was Ron ihm erzählt hatte, tippte einen Bericht, fügte ein paar Anführungszeichen ein, wo er sie für passend hielt, und schon hatten Polizei und Staatsanwaltschaft ihr zweites Traum-Geständnis. Dass Ron wiederholt geleugnet hatte, in das Verbrechen verwickelt zu sein, wurde mit keinem Wort erwähnt.
Wie üblich spielten die Fakten keine Rolle. Ron hatte gar nicht in Tulsa gelebt, als der Mord passierte. Er hatte weder ein Fahrzeug noch einen Führerschein gehabt.
7. Kapitel
Die Nachricht, dass ihr Bruder verhaftet und des Mordes angeklagt war, war für Annette Hudson und Renee Simmons ein schwerer Schlag. Seit seiner Freilassung im Oktober hatten sie sich große Sorgen wegen seiner sich beständig verschlechternden psychischen Verfassung und seines körperlichen Wohlergehens gemacht - aber dass eine Mordanklage drohte, davon hatten sie keine Ahnung gehabt. Jahrelang waren Gerüchte kursiert, aber es war so viel Zeit vergangen. Rons Familie hatte geglaubt, dass die Polizei sich längst mit anderen Verdächtigen und anderen Fällen befasste. Juanita war zwei Jahre zuvor in der Gewissheit gestorben, dass sie Dennis Smith den eindeutigen Beweis für Rons Unschuld geliefert hatte, und Annette und Renee waren ebenfalls dieser Meinung gewesen.
Die Schwestern lebten bescheiden. Sie umsorgten ihre Familien, verdienten hin und wieder etwas dazu, zahlten ihre Rechnungen und legten, wenn es möglich war, etwas Geld beiseite. Da blieb nichts übrig für einen Strafverteidiger. Annette sprach mit David Morris, aber er hatte kein Interesse an dem Fall. John Tanner aus Tulsa war zu weit weg und zu teuer.
Schon so oft hatten sie Ron durch die Mühlen der Justiz begleitet, und doch waren sie jetzt nicht auf seine unvermittelte Verhaftung und die schwere Anschuldigung, einen Mord begangen zu haben, vorbereitet. Freunde zogen sich zurück. Es gab von neuem Blicke und Getuschel. Eine Bekannte sagte zu Annette: »Es ist nicht Ihr Fehler. Sie können nichts für das, was Ihr Bruder getan hat.«
»Mein Bruder ist unschuldig«, erwiderte Annette. Sie und Renee wiederholten das ständig, aber die wenigsten wollten es hören. Zum Teufel mit der Unschuldsvermutung. Die Cops hatten ihren Mann. Warum hätten sie Ron verhaften sollen, wenn er unschuldig war?
Annettes Sohn Michael, der damals fünfzehn war und die zweite Klasse der Highschool besuchte, musste im Unterricht eine Diskussion über aktuelle lokale Ereignisse durchstehen, deren Hauptthema die Verhaftung von Ron Williamson und Dennis Fritz war. Da Michaels Nachname Hudson lautete, ahnte keiner seiner Klassenkameraden, dass der des
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