Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Gefangene

Titel: Der Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
Vom Netzwerk:
dass er nicht zu Smith und Rogers zurückkehren wolle, weil er einfach nicht glauben könne, dass man ihn des Mordes angeklagt habe. Er sei unschuldig, habe nichts mit dem Verbrechen zu tun und benötige ein wenig Zeit, um seine Gedanken zu ordnen. Er sei auf der Suche nach einem guten Verteidiger, und seine Familie bemühe sich, Geld zusammenzubekommen.
    Dann fasste er noch einmal seine Beteiligung an den Ermittlungen zusammen: Da er nichts zu verbergen habe und sich kooperationswillig zeigen wolle, habe er alles getan, was die Polizei von ihm verlangt habe. Er habe Speichelproben, Fingerabdrücke, Schriftproben, Haare (sogar eins aus seinem Schnurrbart) abgegeben; er habe zwei Lügendetektortests mitgemacht, bei denen er Dennis Smith zufolge »durchgefallen« sei. Fritz erklärte, er habe später herausgefunden, dass er die Tests sehr wohl bestanden habe.
    Über die Ermittlungen schrieb Fritz: »Dreieinhalb Jahre lang hatte die Polizei Zugang zu meinen Fingerabdrücken, Schrift- und Haarproben. So lange hatte sie Zeit, um sie mit den am Tatort aufgefundenen und jeglichen anderen Beweisstücken zu vergleichen - sofern es welche gab. Man hätte mich also schon viel früher verhaften können. Ihrem Blatt war zu entnehmen, dass die Polizei vor sechs Monaten mit ihrem Latein am Ende war, sodass sie neu überlegen musste, wie sie >das Ganze< angeht. Ich bin klug genug, um zu wissen, dass ein Polizeilabor nicht dreieinhalb Jahre braucht, um die Proben zu analysieren, die ich freiwillig zur Verfügung gestellt habe.« Dennis, der früher Naturwissenschaften unterrichtet hatte, hatte sich mit Haaranalysen beschäftigt, lange bevor er selbst Haarproben abgeben musste. In seinem Brief schrieb er:
    »Wie kann ich wegen Vergewaltigung und Mordes angeklagt werden auf der Grundlage eines so dürftigen Beweismittels? Anhand von Haaren lassen sich allenfalls ethnische Gruppen voneinander unterscheiden, aber nicht individuelle Merkmale innerhalb einer ethnischen Gruppe. Jeder sachverständige Zeuge aus diesem Fachgebiet weiß, dass über eine halbe Million Menschen die gleiche Haarbeschaffenheit aufweisen können.«
    Er schloss mit verzweifelten Unschuldsbeteuerungen und der Frage:
    »Bin ich schuldig, bis meine Unschuld bewiesen ist, oder unschuldig, bis meine Schuld bewiesen ist?«
    Pontotoc County verfügt über keinen hauptamtlichen Pflichtverteidiger. Wer eines Verbrechens angeklagt ist und auf eigene Kosten keinen Anwalt engagieren kann, muss einen Offenbarungseid leisten. Dann bestellt der Richter einen ortsansässigen Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger.
    Da Kapitalverbrecher selten wohlhabend sind, erledigen bei den meisten schweren Fällen Pflichtverteidiger die Arbeit. Raubüberfälle, Drogenkriminalität und Gewaltdelikte sind die Verbrechen der unteren Gesellschaftsschichten. Die meisten Angeklagten sind schuldig. Der Pflichtverteidiger ermittelt, verhört, verhandelt mit dem Staatsanwalt, schreibt seinen Bericht, schließt die Akte und bekommt ein bescheidenes Honorar.
    Die Honorare sind in der Tat so niedrig, dass sich die meisten Anwälte um diese Fälle lieber drücken. Das Pflicht-Verteidigerwesen ist willkürlich und problematisch. Die Richter übertragen Fälle oft Anwälten, die wenig oder gar keine Erfahrung im Strafrecht haben. Und es gibt keine Finanzmittel für sachverständige Zeugen oder Ähnliches.
    Nie ist ein Kleinstadtgericht so schnell verwaist wie bei einem Mordfall. Nie steht der Verteidiger so im Licht der Öffentlichkeit wie bei dem Versuch, die Rechte irgendeines Kerls aus der Unterschicht zu schützen, der eines unsäglichen Verbrechens beschuldigt wird. Die anfallenden Arbeitsstunden sind lästig und können die Arbeit in einer kleinen Kanzlei zum Erliegen bringen. Das Honorar ist lächerlich. Und die Revisionen ziehen sich oft endlos in die Länge.
    Die größte Angst ist, dass sich niemand findet, der den Angeklagten freiwillig vertreten will, sodass der Richter den Fall jemandem zuweist. Die meisten Sitzungssäle quellen über vor Anwälten, wenn das Gericht tagt. Sobald aber ein Schwerverbrecher hereingeführt wird, um seinen Offenbarungseid zu leisten, verwandeln sie sich in Geisterhallen. Die Anwälte fliehen in ihre Büros, verrammeln die Türen und stellen die Telefone ab.
    Der vielleicht schillerndste Stammgast am Gericht von Ada war Barney Ward, ein blinder Anwalt, der für schicke Outfits, exzessives Leben und Räuberpistolen bekannt war. Sein Name tauchte im Juristenklatsch der

Weitere Kostenlose Bücher