Der Gefangene
Fluchtgefahr. Die für ihn angesetzte Kaution war wie die Rons unbezahlbar hoch. Wie alle Angeklagten wurden beide als unschuldig angesehen und trotzdem hinter Gittern verwahrt, damit sie nicht fliehen oder frei auf der Straße herumlaufen und andere umbringen konnten. Obwohl sie als unschuldig galten, warteten sie fast ein Jahr in einer Zelle auf ihren Prozess.
Ein paar Tage, nachdem Dennis ins Gefängnis gekommen war, tauchte plötzlich ein Kerl namens Mike Tenney vor seiner Zelle auf, ein fetter Typ mit Glatzenansatz und ziemlich einfacher Ausdrucksweise. Aber er lächelte nett und hatte eine angenehme Art, und er behandelte Dennis wie einen alten Kumpel. Außerdem war er ganz scharf darauf, über den Carter-Mord zu reden.
Dennis kannte Ada lange genug, um zu wissen, dass dieses Gefängnis ein Sumpf voller Spitzel, Lügner und Halsabschneider war. Er wusste, jeder Dialog konnte in einem Ge- richtssaal wieder auftauchen, und zwar so abgewandelt, dass er einem vor Gericht auf jeden Fall zum Nachteil gereichte. Ob Insasse, Wärter, Cop, Vertrauenshäftling, Hausmeister, Koch - jeder war ein potenzieller Spitzel, der eifrig Informationen sammelte, um sie an die Ermittler weiterzugeben.
Tenney erzählte, er sei neu in diesem Laden, und gab sich als fest angestellter Wärter aus, doch in Wahrheit stand er noch nicht auf der Gehaltsliste der County. Seine zahlreichen guten Ratschläge für Dennis kamen unaufgefordert und gründeten sich weder auf Wissen noch auf Erfahrung. Seiner Ansicht nach befinde sich Dennis in großen Schwierigkeiten. Er blicke einer Hinrichtung ins Auge, und wenn er seine Haut retten wolle, solle er am besten sein Gewissen erleichtern, ein Geständnis ablegen, mit Peterson drüben im Büro des Bezirksstaatsanwalts einen Deal aushandeln und Ron Williamson den Schwarzen Peter zuschieben.
Peterson würde fair sein.
Dennis hörte nur zu.
Tenney wollte nicht verschwinden. Jeden Tag kam er aufs Neue vorbei und schüttelte ernst den Kopf angesichts der verzweifelten Lage, in der sich Dennis befand. Er schwadronierte über das System, und wie es seiner Meinung nach funktionierte, und geizte nicht mit weisen Ratschlägen zum Nulltarif.
Dennis hörte nur zu.
Für den 20. Juli wurde eine Voruntersuchung vor Richter John David Miller festgesetzt. Wie fast überall im Land war die Voruntersuchung auch im Bundesstaat Oklahoma von entscheidender Bedeutung. Die Staatsanwaltschaft musste ihre Karten auf den Tisch legen und dem Gericht offenbaren, wer ihre Zeugen waren und was sie aussagen würden.
Die Herausforderung für den Staatsanwalt bestand darin, gerade so viel Belastungsmaterial zu präsentieren, dass der Richter die Anschuldigungen gegen den Angeklagten für ausreichend begründet hielt, andererseits aber der Verteidigung nicht alles zu verraten. Es war eine Frage des Fingerspitzengefühls und nicht ohne Risiko. Normalerweise hat ein Staatsanwalt wenig zu befürchten, denn Richter müssen um ihre Wiederwahl bangen, wenn sie Klagen abweisen. Aber mit der dürftigen Beweislage bei Fritz und Williamson musste Bill Peterson bei dieser Anhörung alles geben. Er hatte so wenig vorzuweisen, dass er keinesfalls etwas zurückhalten konnte. Außerdem würde die Lokalzeitung da sein und eifrig jedes Wort mitschreiben. Drei Monate nach der Veröffentlichung wurde The Dreams of Ada in der Stadt immer noch heiß diskutiert. Die Voruntersuchung würde Petersons erster Auftritt bei einem größeren Gerichtstermin seit dem Erscheinen des Buches sein.
Der Sitzungssaal war beachtlich voll. Dennis Fritz' Mutter war da, ebenso Annette Hudson und Renee Simmons. Peggy Stillwell, Charlie Carter und ihre beiden Töchter waren schon früh gekommen. Das Stammpublikum - gelangweilte Anwälte, Klatschbasen aus dem Ort, faule Gerichtsangestellte, Rentner, die sonst nichts zu tun hatten -warteten darauf, den ersten Blick auf die beiden Mörder zu erhaschen. Der Prozess war noch Monate entfernt, aber jetzt würde man ihre Aussagen schon einmal live vorab hören können.
Vor der Anhörung hatte die Polizei von Ada Ron - nur so zum Spaß - erzählt, dass Dennis Fritz am Ende doch ein volles Geständnis abgelegt habe, das sie beide in den Punkten Mord und Vergewaltigung belaste. Die schockierende Nachricht ließ bei Ron alle Sicherungen durchbrennen.
Dennis saß ruhig neben Greg Saunders auf der Bank der Verteidigung und sah ein paar Unterlagen durch, während er darauf wartete, dass es losging. Ron saß in seiner Nähe, immer
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