Der Gefangene
Gutachten wimmelt es nur so von Vorbehalten, wie zum Beispiel: »Das Haar der unter Verdacht stehenden Person und das am Tatort gefundene Haar stimmen mikroskopisch gesehen überein und könnten von derselben Quelle stammen.« Allerdings ist dann auch die Möglichkeit sehr groß, dass es nicht von derselben Quelle stammt. Dieser Sachverhalt bleibt im Zeugenstand meist unerwähnt, vor allem, wenn die Befragung des Sachverständigen durch die Staatsanwaltschaft erfolgt. Die Hunderten von Haaren, die Dennis Smith am Tatort gesammelt hatte, kamen erst nach einer langen, umständlichen Reise im Gerichtssaal an. Sie wurden von mindestens drei verschiedenen Kriminaltechnikern des OSBI untersucht, zusammen mit mehreren Dutzend Haarproben, die kurz nach dem Mord bei dem Rundumschlag unter den üblichen Verdächtigen von den Detectives Smith und Rogers gesammelt worden waren. Zunächst ordnete Mary Long alle Haare im kriminaltechnischen Labor, doch nach kurzer Zeit packte sie alle Proben zusammen und übergab sie an Susan Land. Als diese im März 1983 die Haarproben erhielt, waren Dennis Smith und Gary Rogers davon überzeugt, dass Fritz und Williamson die Mörder waren. Sehr zum Missfallen der Ermittler kam Land in ihrem Gutachten allerdings zu dem Ergebnis, dass die Haare mikroskopisch gesehen nur mit denen von Debbie Carter übereinstimmten. Fritz und Williamson waren für kurze Zeit aus dem Schneider, doch das konnten sie nicht wissen. Und Jahre später wurden ihre Anwälte nicht über die Ergebnisse von Lands Haaranalyse unterrichtet.
Die Anklage brauchte ein zweites Gutachten.
Im September 1983 wurde Susan Land von ihrem Vorgesetzten angewiesen, den Fall an Melvin Hett zu übergeben, weil sie durch ihre übermäßige Arbeitsbelastung zu sehr in Anspruch genommen werde. Die Übertragung eines Falls war sehr ungewöhnlich, vor allem, da Land und Hett in verschiedenen kriminaltechnischen Labors in unterschiedlichen Regionen des Bundesstaates angestellt waren. Land arbeitete im Zentrallabor in Oklahoma City, Hett dagegen in einer Zweigstelle in Enid, einer Stadt im Nordwesten Oklahomas. Hett war für achtzehn Countys zuständig. Pontotoc County gehörte nicht dazu.
Hett ging überaus zielstrebig vor. Er brauchte siebenundzwanzig Monate für die Analyse der Haare, was recht lange war, vor allem, wenn man berücksichtigt, dass er sich lediglich die Proben von Fritz, Williamson und Debbie Carter vornahm. Die anderen einundzwanzig waren nicht so wichtig und konnten warten.
Da die Polizei ja wusste, wer Debbie Carter getötet hatte, waren die Beamten so nett und informierten Melvin Hett entsprechend. Auf den Proben, die er von Susan Land bekam, stand neben den Namen Fritz und Williamson das Wort »Verdächtiger«.
Von Glen Gore hatte die Polizei von Ada immer noch keine Haarprobe. Am 13. Dezember 1985, drei Jahre nach dem Mord, hatte Melvin Hett sein erstes Gutachten fertig und kam zu dem Schluss, dass siebzehn der am Tatort gefundenen Haare mikroskopisch gesehen mit den Haarproben der verdächtigen Personen Fritz und Williamson übereinstimmten.
Nachdem er über zwei Jahre und mehr als zweihundert Arbeitsstunden gebraucht hatte, um die ersten Haarproben zu analysieren, legte sich Hett mächtig ins Zeug und bearbeitete die übrigen einundzwanzig in weniger als einem Monat. Am 9. Januar 1989 stellte er sein zweites Gutachten fertig und kam darin zu dem Ergebnis, dass alle anderen Proben, die von den jungen Männern in Ada stammten, mit keinem der am Tatort gefundenen Haare übereinstimmten.
Glen Gore war immer noch nicht gebeten worden, eine Haarprobe abzugeben. Die Analyse der Haare war eine mühsame Arbeit und nicht ohne Unsicherheiten. Hett änderte mehrmals seine Meinung, während er vor dem Mikroskop saß. Einmal warer sicher, dass ein Haar zu Debbie Carter gehörte, doch dann besann er sich anders und gelangte zu der Überzeugung, dass es von Fritz war.
Haaranalyse war eben so. Hett kam bei einigen Proben zu völlig anderen Ergebnissen als Susan Land, und schließlich brachte er es sogar fertig, sich selbst zu widersprechen. Zuerst stellte er fest, dass insgesamt dreizehn Schamhaare von Fritz und nur zwei von Williamson stammten. Später änderte er die Zahlen jedoch - zwölf von Fritz, zwei von Williamson. Dann elf von Fritz, dazu zwei Kopfhaare.
Aus irgendeinem Grund wurde im Juli 1986 dann doch eine Haarprobe von Gore zur Analyse geschickt. Jemand bei der Polizei von Ada hatte angefangen zu denken und
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