Der gefrorene Rabbi
vordrangen und ihn mit einer Hoffnung umfassten, der sie sich kaum hinzugeben wagte. Aber wenngleich ihre Berührung nicht den Brand auslöste, der ihn sonst in die elysischen Gefilde katapultierte (und einen Körper hinterließ, der so leidenschaftlich war wie ein Fahrradreifen), führte sie auch nicht zu der lang ersehnten Vereinigung. Stattdessen kleckerte der Samen einsam aus seinem matten Organ. Als er sich allmählich von dem Taumel erholte, der seine Gedanken zerpflückt und sein Herz zum Rasen gebracht hatte, bemerkte Bernie, dass das Mädchen etwas in der Handfläche hielt, was aussah wie golden leuchtende Glühwürmchen.
»Nächstes Mal«, riet ihm Lou, »denkst du an was Ekliges, damit du nicht gleich kommst, wenn ich dich anfasse.«
1912-1929
M eine Mama war eine vernünftige Frau, mein Papa ein Träumer«, las Bernie Lou Ella Tuohy aus dem eselsohrigen Tagebuch von Ruben (genannt Ruby) Karp vor, »und ich habe überhaupt nichts von ihnen geerbt. Manchmal dachte ich sogar, dass ich gar nicht ihr Sohn bin; dass ich mit dem echten Kind in der Wiege vertauscht wurde von den Dämonen, die die Einwanderer nach den Erzählungen meines Vaters in der alten Heimat zurückgelassen hatten, als sie in die Neue Welt kamen.«
Meine Eltern haben so ziemlich alle Tugenden dieser Welt untereinander aufgeteilt, da blieb mir nichts anderes übrig, als ein schwarzes Schaf zu werden. Soweit ich das beurteilen kann, war mein Papa ein hochgewachsener Mann, nur sein verkrümmtes Rückgrat zwang ihn, sich zu bücken wie unter einer Last. Ich dagegen war klein wie (na schön) meine Mama; ich war ein Knirps, aber drahtig und schnell mit den Fäusten, und ich hatte ein Temperament, das mich an den Rand des Deliriums und darüber hinaus treiben konnte. In einem Kampf war ich blind, während mein Körper energisch und ungestüm seinen eigenen Instinkten folgte, und wenn ich wieder zu mir kam, stellte ich fest, dass mein Gegner (oder meine Gegner, denn eine Überzahl konnte mich nie abschrecken) bewusstlos oder geflohen war. In meiner Jugend fand ich die beständige Ruhe in unserem Haushalt deprimierend, und sobald ich einigermaßen alt genug war, wollte ich die rohe Seite des Lebens kennenlernen. Ich ging zu Box- und Hundekämpfen und zettelte Gassenschlägereien an; wenn irgendwo ein schlimasl ausbrach, war ich dabei, Seite an Seite mit den zwielichtigen Gestalten, die solche Orte frequentierten. Zuerst forderten sie mich heraus, meine Halbweltkumpane, dann führten sie mich ein, und danach war ich ein angesehenes Mitglied ihrer Sippe. Natürlich waren die Gangster der alten Garde, die jiddischen Mafiosi wie Monk Eastman und Dopey Benny, alle tot oder anständig geworden; das Klima hatte sich verändert seit den Tagen, als die schtarkerß sich damit zufriedengaben, Gäule zu vergiften und Feuer zu legen, und nach dem Aufstieg der Gewerkschaften lief auch das Geschäft mit den Arbeitskämpfen nicht mehr. Das soll aber nicht heißen, dass die gute alte Körperverletzung völlig überholt war. Die Gangs betrieben noch immer die üblichen Geschäfte, aber das eigentliche Geschehen drehte sich seit Beginn der Prohibition um illegalen Whiskey. Das ganze Getto wurde kolonisiert von Hausdestillen und Schwarzbrennereien, in jedem Keller und Friseurladen öffneten Speakeasys, sodass sich einem findigen jungen Mann jede Menge Gelegenheiten für Zoff bot.
Selbstverständlich achteten meine Eltern in meiner Kindheit darauf, dass ich keine Bekanntschaft mit den schäbigeren Stadtteilen machte. Nach außen hin machte meine Kindheit sicher einen idyllischen Eindruck. Meine Welt beschränkte sich damals fast ausschließlich auf die Upper West Side, deren saubere Straßen von erfolgreichen Juden bevölkert wurden, doch jeder noch so kleine Ausflug in andere Gegenden machte mir Appetit auf mehr. Sie steckten mich in Matrosenanzug und Buster-Brown-Mütze und nahmen mich mit zu Spaziergängen am Fluss oder zum Bootfahren auf dem See im Central Park, wo ich die Jolle ins Schaukeln brachte, bis sie kenterte. Genauso langweilig fand ich die Familienbesuche im Yiddish Art Theatre an der Second Avenue, wo Muni Weisenfreund ein halbes Jahrhundert älter wurde, während er auf der Bühne auf einen Messias wartete, der nie kam. Und ich hatte auch nicht viel übrig für die Streifen, die wir in den vornehmen Logen von Filmpalästen ansahen - diese melodramatischen Schnulzen mit gelackten Hauptdarstellern wie John Gilbert und Rudolph Valentino gingen mir
Weitere Kostenlose Bücher