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Der gefrorene Rabbi

Der gefrorene Rabbi

Titel: Der gefrorene Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Stern
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Rabbi Elieser ben Zephirs Autobiografie Der Weise aus dem Eis zurück. Besondere Freude bereiteten ihr die Abenteuer des rebbe vor seiner Geburt als er selbst. Denn der kleine Elieser war schon im Mutterleib ein Wunder und konnte sich dem Engel des Vergessens entziehen, der dafür verantwortlich ist, die Menschen bei der Geburt unter der Nase zu kneifen. Diese Berührung bewirkt, dass ein Baby seine vergangenen Leben und alle Zwischenaufenthalte im Paradies vergisst. Als er zwischen den Beinen seiner Mutter hervorgezogen wurde, stülpte der Neugeborene nach Affenart die Oberlippe über sein Philtrum und entging auf diese Weise dem retrograden Griff des Engels, sodass ihm zeitlebens der Geschmack des Himmels an den Lippen haftete. Dementsprechend erinnerte er sich an die gesamte Genealogie seiner früheren Seelenwanderungen, seiner gilgulim. Er entsann sich seiner bescheidenen Anfänge als Heuschrecke, die an den zehn Plagen Ägyptens teilgenommen hatte, als Floh im Ohr des Propheten Habakuk, als Fledermaus in der Höhle, in der Simon bar Jochai die natürliche Welt in heilige Schriften übersetzte. In seiner schmachvollsten Inkarnation war Elieser eine Katze, die ein kosakischer Hetman in den Bauch einer schwangeren Jüdin nähte, nachdem ihr der Fötus herausgeschnitten worden war. Aber dank eines von einem lamed wow’nik gesegneten Amuletts überlebte die Frau, und die Katze wurde als menschliches Kind geboren, eine fromme Tochter, die später heiratete und einen Wurf von sieben Kindern zur Welt brachte, die alle dazu neigten, ihre Fäkalien im Sand zu verscharren. Der Rabbi berichtete von weiteren Inkarnationen auf dem Weg zu seiner eigenen, so etwa seine Geburt als Kind eines armen Juden und seiner Frau in den Karpaten. Der Säugling wurde von einem Adler aus der Wiege geraubt und über einer arabischen Wüste abgeworfen, wo er im Gemeinschaftskessel eines Beduinenstamms landete, der ihn als einen der Ihren aufzog. Doch eine namenlose Sehnsucht drängte ihn, durch mehrere Länder, Glaubensrichtungen und Leben zu wandern, bis seine Seele wiedergeboren wurde in der Familie von Zephir Dreifuß, einem Köhler im polnischen Dorf Boibicz. Dort wurde der elohi, das Wunder, seit seiner Kindheit von spontanen Ekstasen heimgesucht. Immer musste er auf die Uhr sehen, um der Zeit verhaftet zu bleiben, und eine Brille tragen, um einzelne Menschen und Gegenstände zu sehen, da er ohne sie alles in seiner kosmischen Verbundenheit wahrnahm. Als kleiner Junge beschmierte er aus eigenem Antrieb Seiten aus der Thora mit Honig und verschlang sie, sodass er später als chejder jingl den gesamten Pentateuch wiederkäuen konnte.
    »Man kann sagen, dass Gott und ich in dieser Zeit wie Pech und Schwefel zusammenklebten«, schrieb der rebbe (in Ira Grusoms nüchternerer Prosa). »Zusammen vollbrachten wir die üblichen Wunder und Exorzismen; wir heilten Leprakranke, besiegten Werwölfe, verscheuchten Dämonen bei Beschneidungen, bahnten Begegnungen zwischen Seelen ohne Körper und Körpern ohne Seele an und so weiter. Und immer blieb ich eine Handbreit über der Erde …« Nach einer langen, glücklichen Karriere, die ihm einen Kreis von Anhängern beschert hatte, befand sich Rabbi ben Zephir zum Beten an seinem gewohnten Rückzugsort neben Baron Jagiellos Pferdeteich, als ein Gewitter heraufzog.
    In seinen Memoiren ließ der rebbe keinen Zweifel daran, dass er wenig übrighatte für die joklß, die ihn über hundert Jahre lang in einem Sarg herumgekarrt hatten, denn sie hätten nur das Eis schmelzen (und vielleicht vor seinem Ohr mit einem grager rasseln) müssen, um ihn aus seiner Trance zu holen. Dennoch räumte er ein, dass sein langer Schlummer ein Segen war, weil er mit frischem Schwung in die Welt zurückgekehrt war. Nach seiner Wiederkunft sah er seinen Auftrag nicht mehr darin, verirrte Seelen zu trösten, sondern sie an den Ort auf Erden zu führen, der ihnen zustand. Natürlich bot er Suchenden auch die konventionelle Transzendenz, aber nur als vorübergehende Erleichterung, um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich in der materiellen Welt einzurichten.
    Ab dieser Stelle fand Lou, die sich eine viridiangrüne Locke um das dreifach gepiercte Ohr wickelte, die Argumentation ein wenig schwammig. Ihr war nicht recht klar, wie sich der Schwerpunkt im Wirken des rebbe mithilfe spiritueller Disziplin plötzlich von der Erlösung zu einer leidenschaftlichen Verteidigung der freien Marktwirtschaft verlagert hatte. Allerdings fiel ihr

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