Der Gegenschlag - Extreme Measures
mir, Miss Harvard, wie geht’s dir jetzt damit, dass du unseren Sohn so zusammengestaucht hast? Wie geht’s dir damit, dass du nicht einmal hören wolltest, was er dazu zu sagen hat?«
Einen Moment lang war sie sprachlos. »Da sind anscheinend meine Emotionen mit mir durchgegangen«, räumte sie schließlich ein. »Aber das hätte man auch anders lösen können«, fügte sie hinzu, erneut mit einer Spur von Entrüstung in der Stimme. »Rory kann seine Freunde nicht jedes Mal niederschlagen, wenn sie etwas sagen, was ihn ärgert.«
»Kannst du nicht einmal zugeben, dass du Unrecht hast?«
»Ich habe nicht Unrecht, Michael.«
»Oh …« Nash seufzte. »Der Junge hat das Richtige getan.«
»Nein, hat er nicht. In Sidwell haben sie null Toleranz für Prügeleien.«
»Scheiß auf Sidwell, und hör auf, wie eine Anwältin zu reden. Hier geht es um unseren Sohn.«
»Sprich nicht so mit mir.«
»Weißt du, wie oft ich schon gehört habe, dass du zu einem Klienten gesagt hast, er soll den Mund halten?«, versetzte er. »Wenn sie irgendwas nicht einsehen wollten - wie oft hast du dann zu jemandem gesagt, er soll still sein, bis er alle Tatsachen kennt? Das ist dein Motto, an das du dich heute Abend absolut nicht gehalten hast. Rory ist nach Hause gekommen, aber da hattest du dir deine Meinung schon gebildet und hast ihn angebrüllt wie irgendein Dritte-Welt-Diktator.«
»Darüber lässt sich streiten, aber worüber sich nicht streiten lässt, ist, dass Gewalt nichts bringt. So löst man keine Probleme.«
»Halt den Mund, Maggie«, sagte Nash mit Nachdruck. »Ich liebe dich, und ich werde dich immer lieben, und jetzt sag ich dir, halt einfach mal deinen hübschen kleinen Mund. Hör auf, eine Anwältin zu sein, und fang an, eine Mutter zu sein. Rory hat diesen kleinen Scheißer mehrmals gewarnt, aber er wollte nicht hören. Er hat weiter provoziert, und da hat ihm Rory genau das gegeben, was er verdient hat.«
Maggie wollte etwas sagen, doch Nash streckte die Hand aus. »Nein! Sag kein Wort mehr. Es war deine Idee, ihn auf diese verdammte Eliteschule zu schicken. Es war für mich okay, dass Shannon dort hingeht. Sie haben ein tolles Theaterprogramm, aber für Rory ist das nicht das Richtige. Nicht jeder will ein Amateurschauspieler sein.«
Maggie verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihren Mann trotzig an. »Ist das alles?«
In seiner Frustration ging Nash zur Tür, doch dann drehte er sich noch einmal um. »Dein Sohn da oben liebt dich. Er liebt dich so, dass er deine Ehre verteidigt, und das ist heutzutage etwas, auf das man stolz sein sollte. Es
geht ihm momentan furchtbar. Er ist verwirrt, weil er glaubt, dass er eigentlich das Richtige getan hat.«
»Ich habe auch ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn nicht habe ausreden lassen, aber Michael …«
»Nein, da gibt es kein Aber. Wäre es dir lieber, wenn er überall erzählen würde, was für eine Schlampe du bist … denn eins sag ich dir, es gibt genug Jungs in seinem Alter, die genau das tun.«
Maggie nickte langsam und schien zu überlegen, was sie tun sollte.
»Wenn du ihn so liebst, wie er dich liebt«, fuhr Nash fort, »dann gehst du jetzt hinauf und entschuldigst dich bei ihm, und fang nicht wieder an mit diesem Quatsch, dass sie in der Schule null Toleranz für Prügeleien haben.«
»Gut«, gab sie schließlich nach. »Lass mir eine Minute Zeit.«
52
WASHINGTON D. C.
Ralph Wassen saß an der Bar und nahm einen Schluck von seinem Manhattan. Es war sein zweiter Drink in etwas weniger als einer Stunde. An einem Dienstagabend um Viertel vor zwölf waren genug Plätze im Lokal frei. Der Mann, mit dem er sich treffen wollte, hatte sich verspätet, was ihn keineswegs überraschte, obwohl er ihn nicht kannte. Nach allem, was er über ihn wusste, hatte er sich fast gedacht, dass der Mann ihn warten lassen würde. Das hatte ihm sein Gefühl gesagt. Wassen hatte wegen dieses Treffens ein Rendezvous abgesagt, deshalb hoffte er, dass er die Entscheidung nicht bereuen würde,
nachdem sein Liebesleben im vergangenen Jahr praktisch eingeschlafen war. Er sagte sich, dass es an seinem Arbeitspensum lag, doch er wusste, dass noch etwas anderes dahintersteckte. Er hatte es allmählich satt, immer nach New York oder Miami zu jetten. Außerdem war, seit er fünfzig war, eine gewisse Ernüchterung eingekehrt, angesichts der Tatsache, dass er mehr Jahre hinter sich als vor sich hatte.
Wassen hatte gar nicht bemerkt, dass der Mann gekommen war, bis der
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