Der Gegenschlag - Extreme Measures
Atmen. Es war wieder eine Panikattacke. Er hatte es nie jemandem erzählt. Seinen Männern hatte er gesagt, dass es nur Migräne wäre, doch er wusste, was wirklich dahintersteckte. Kopfschmerzen hatte er schon öfter gehabt, aber das war etwas anderes. Es war etwas absolut Beängstigendes. Für gewöhnlich begann es mit diesen Zweifeln, die ihn vor dem Einschlafen befielen. Wenn er mit seinen Gedanken allein war. Wenn er verzweifelt versuchte, seine Sorgen aus dem Bewusstsein zu verdrängen, damit er einfach nur schlafen konnte. Doch es war hoffnungslos. Je mehr er es versuchte,
umso schlimmer wurde es, und jetzt passierte es ihm auch schon mitten am Tag.
Die Krankheit, oder was immer es war, kam immer auf die gleiche Weise. Es begann mit Zweifeln; Zweifeln an seinen eigenen Fähigkeiten und an denen seiner Männer. Sie hatten so hart an sich gearbeitet - aber würde es genügen? Wo war das Gefühl der Befriedigung über das Erreichte oder wenigstens eine gewisse Erleichterung, dass sie diesen furchtbaren Ort verlassen konnten? Diesen Ort, der ihnen schon am Anfang beinahe zum Verhängnis geworden wäre. Karim dachte an jene ersten Wochen zurück, als die Männer alle krank wurden, weil ihre Körper sich gegen diese tückische Umgebung mit ihrer Feuchtigkeit und ihren Insekten nicht wehren konnten. Diese eine Sache hatte er vorher nicht bedacht. Er hatte gewusst, dass sich seine Männer an das neue Klima würden gewöhnen müssen, aber er hatte angenommen, dass das bei ihrer Jugend und ihrer Kraft kein Problem sein sollte. Schließlich hatten sie auch überlebt, als sie die Amerikaner in den kalten rauen Bergen Afghanistans bekämpften. Karim hatte die Kälte gehasst, aber er würde sie nie wieder verfluchen. Die kalte trockene Gebirgsluft tötete alles ab, was man nicht sehen konnte - die winzigen Mikroben, die den Körper angreifen konnten. Diese unsichtbaren Feinde gediehen in der feuchten Luft des Dschungels.
Überraschenderweise war es die U.S. Army, die sie gerettet hatte, oder genauer gesagt eines ihrer Feldhandbücher über das Überleben in einer tropischen Umgebung. Karim besorgte seinen Männern die richtige Medizin und die entsprechende Kleidung und begann strikt auf Hygiene zu achten. Es dauerte fast einen vollen Monat, bis sie alle von den Ausschlägen und dem Durchfall geheilt waren. Von diesem Moment an machten sie große Fortschritte.
Sie wurden stärker und fähiger - aber würde es reichen? Gab es nicht doch etwas, was er nicht bedacht hatte?
»Amir.«
Karim drehte sich um und sah Farid drei Meter hinter ihm stehen, einen besorgten Ausdruck auf dem Gesicht. »Ja.«
»Ist alles in Ordnung mit dir?«
»Ja. Warum fragst du?«
»Du siehst nicht gut aus. Entschuldige, dass ich das so sage.«
»Mir geht es gut«, log Karim.
»Die Männer sind bereit.«
»Wasser?«
»Volle Ration, wie du es befohlen hast.«
»Wissen sie, dass wir aufbrechen?«
Farid konnte nicht verbergen, wie überrascht er selbst war.
»Das habe ich mir gedacht.« Karim blickte zurück zu den Hütten mit ihren rostigen Blechdächern. Die Männer standen neben ihren Rucksäcken und bereiteten sich auf einen der üblichen langen Fußmärsche durch den Dschungel vor. »Hol sie her. Sag ihnen, sie sollen die Rucksäcke stehen lassen.«
Farid blaffte einen kurzen Befehl, und die sechs Männer kamen herbeigeeilt. Sie stellten sich in einer Reihe auf und ließen untereinander jeweils eine volle Armlänge Abstand. Sie hatten das in den vergangenen sechs Monaten so oft gemacht, dass sie den Abstand auf einen Blick einschätzen konnten.
Karim überblickte seinen Elitetrupp. Sieben Mann, der Größte von ihnen knapp über eins achtzig groß, der Kleinste knapp unter eins siebzig. Körperlich waren sie
alle in ausgezeichnetem Zustand. Was der eine oder andere an Übergewicht mitgebracht hatte, war längst durch das intensive Training verschwunden. Sie waren eine imposante Gruppe mit ihren breiten Schultern, ihren prallen Muskeln und ihren schmalen Taillen. Ihre ganze Haltung hatte sich verändert. Sie standen aufrecht, die Schultern zurückgezogen, die Brust herausgedrückt, den Blick geradeaus gerichtet, und warteten auf einen Befehl. Die Haltung allein hatte fast einen Monat in Anspruch genommen. Er hatte ihnen all die schlechten Angewohnheiten austreiben müssen, die sie im Kampf für Al-Kaida und die Taliban entwickelt hatten. Man hatte sie dazu ermutigt, auf die Amerikaner mit ihren starren Kommandostrukturen herabzusehen.
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